Die Königsmacherin
tröstete Mathilde die Herrin, nachdem diese wieder einmal Karl zurechtgewiesen hatte. Der hatte nämlich seinen kleinen Bruder herausgefordert, sich auf ein noch nicht zugerittenes Pferd zu setzen.
»Wußtet Ihr, daß Poseidon von seinem Vater Kronos verschlungen wurde, weil dieser solche Angst davor hatte, daß sich die Brüder verfeinden würden?« fuhr Mathilde fort.
»Ja, ja, ich weiß«, erwiderte Bertrada ungeduldig. »Und dann wurde Kronos ein Brechmittel verabreicht, woraufhin er Poseidon wieder ausspie. Hat dir Teles denn auch erzählt, wie es weitergeht?« Niemand hatte sich an den neuen Taufnamen des einstigen Sklaven gewöhnen können.
Mathilde nickte beglückt. »Poseidon hilft Zeus, die Titanen zu besiegen. Dann herrscht der eine Bruder über die Erde und der andere über das Meer. Sie kommen sich nicht mehr in die Quere, und jeder ist mit seinem Machtbereich zufrieden.«
»Und eben darum geht es«, seufzte Bertrada. »Nur darum.«
»Aber wer ist Zeus und wer Poseidon?« wagte die Kammerfrau zu fragen.
»Zeus ist der Jüngere«, antwortete Bertrada. Betroffen dachte sie an den anderen Karlmann, den älteren, dessen Gebeine jetzt in Monte Cassino ruhten. Würde ihr nach ihm benannter Sohn irgendwann zu einer Gefahr für Karl werden? Oder würde Karl in späteren Jahren seinem Bruder nicht nur das Leben, sondern auch das Regieren schwermachen? Sie legte ihre Hand auf die leichte Wölbung ihres Leibes und flehte Gott an, ihr ein Mädchen zu schenken.
Mathildes Schweinsäuglein glänzten, als eine Dienerin den Besuch des Referendarius Teles ankündigte. Voll Stolz strahlte sie ihren Mann an, der bei seinem Eintritt Bertrada mit einer formvollendeten Verneigung seine Ehrerbietung erwies. Die Königin musterte den einstigen Sklaven wohlwollend und überlegte, ob es nicht möglich wäre, daß Pippin dem natürlichen Adel dieses Mannes durch die Verleihung eines entsprechenden Titels Rechnung tragen könnte. Dies würde auch Mathilde ihren alten Stand zurückgeben, etwas, was ihre Eltern, die der Eheschließung nicht zugestimmt hatten, sicher begrüßen würden.
Teles unterrichtete die Kinder inzwischen nicht nur in seiner Muttersprache, sondern auch im griechisch-römischen Ringkampf, einer Disziplin, der Pippin erheblich mehr abgewinnen konnte als Bertrada. Er hatte sogar verfügt, daß dieser Betätigung größere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte als dem Griechischunterricht. Das hatte vor allem Karl mit großem Vergnügen erfüllt. Lesen konnte er in allen unterrichteten Sprachen recht ordentlich, aber im Gegensatz zu seinem Bruder bereitete ihm das Schreiben große Schwierigkeiten. Er neigte dazu, Buchstaben zu verwechseln, und tat sich sehr schwer damit, einen längeren Text zu verfassen. Dagegen war Pater Fulrad, dem die Oberaufsicht über die Ausbildung der Königskinder oblag, von Karlmanns Fortschritten sehr angetan. Nie zuvor hatte er von einem Sechsjährigen gehört, der so flüssig lesen und schreiben konnte und in der Lage war, Sachverhalte so logisch aufzuschlüsseln. Für Karls Leistungen hatte er dagegen nur ein Kopfschütteln übrig. Pippin fand das keineswegs besorgniserregend. Es genüge, wenn ein König lesen könne, meinte er, für die Kunst des Schreibens werde Karl ja später seine Leute haben.
Bertrada erkundigte sich bei Teles nach den Fortschritten ihrer Kinder. Pater Fulrad habe ihn aufgefordert, den Griechischunterricht abzubrechen, erklärte Teles betrübt. Die Jungen seien damit so sehr gefordert, daß ihr Latein darunter leide. Und diese Sprache werde ja leider als die wichtigere angesehen. Seine Miene hellte sich aber sofort wieder auf, als er von Karls Erfolgen beim Ringkampf berichtete.
»Da sieht man, wie klug der Junge ist!« schwärmte er. »Er läßt den Gegner kommen, erkennt blitzschnell dessen Schwächen, setzt besonnen im richtigen Augenblick den richtigen Griff an, und schon liegt der andere am Boden. Er wird einmal ein großer Könner werden!«
»Und Karlmann?« fragte Bertrada. Teles hob das Kinn und ließ ein bedauerndes Schnalzen erklingen. »Er ist vielleicht etwas ungeduldig«, sagte er vorsichtig. »Ich sage ihm immer, daß es zwar darum gehe, den Gegner niederzuwerfen, aber man müsse auch sich selbst schützen. Leider macht der kleine Karlmann immer wieder den gleichen Fehler. Als wäre er Herakles, stürzt er sich völlig unbesonnen auf den anderen, und sobald er einsieht, daß er unterliegen wird, gibt er einfach auf und läßt sich
Weitere Kostenlose Bücher