Die Königsmacherin
Heiliger Vater, hat Christi Stellvertreter jetzt einen eigenen Staat – gewissermaßen einen Kirchenstaat! Natürlich nur, wenn er die Schlüssel auch an sich nimmt und niemand sich vorher an ihnen vergreift.«
Erschrocken sprang Papst Stephan auf und verließ eiligen Schrittes den Empfangssaal.
Da seine Arbeit getan war, hielt Pippin nun eigentlich nichts mehr in Rom. Dennoch hatte er es mit dem Aufbruch nicht eilig. Er wunderte sich selbst darüber, wie wenig ihm der Sinn danach stand heimzukehren und in welch engen Grenzen sich die Sehnsucht nach seiner Frau mit einemmal hielt. Vielleicht lag es an dem römischen Klima, dachte er. Doch sein alter Freund Graf Luitpold brachte ihn unabsichtlich eines Abends auf den wahren Grund.
»Eigentlich sollten wir ausgelassen feiern und fröhlich sein«, sagte der Graf nachdenklich, »wir haben doch ohne große Verluste unser Ziel erreicht. Aber all unsere Leute sind irgendwie bedrückt, wie das eben ein paar Tage nach einem Sieg so oft der Fall ist. Seltsam, nicht wahr? Warum tritt nach dem Erreichen des Ziels, nach der Eroberung der Festung, immer eine solche Leere ein?«
»Ich kann unseren Männern ja die nächste Schlacht in Aquitanien in Aussicht stellen«, meinte Pippin und lachte etwas gezwungen. Seine Gedanken waren jedoch ganz woanders. Luitpold hatte recht. Jahrelang hatte er darum gekämpft, Bertrada zu erobern. Im vergangenen Jahr war er ihr endlich so nah gekommen, wie er es sich immer erträumt hatte. Sie hatte ihm schließlich den Einblick in die geheimsten Kammern ihres Herzens gewährt. Sie war ihm die Gefährtin geworden, nach der er sich sein Leben lang gesehnt hatte. Eine kluge Beraterin, eine liebevolle Vertraute, eine geschickte Hausfrau und eine diplomatische Vermittlerin, dazu noch mit einem Leib ausgestattet, der ihm Wonnen bereitete, und einem Antlitz, das den Abbildungen der römischen Göttin Diana glich, die er noch am Vortag in Rom bewundert hatte. Jahrelang hatte er um sie gebuhlt. Jetzt war sie tatsächlich die Seine. Er hatte das Ziel erreicht, die Festung erobert. Sie hatte ihm ihre Liebe erklärt. Und nun herrschte in seinem Inneren nur noch Leere.
Graf Luitpold erhob sich. »Ich werde jetzt das Haus mit den schönsten Mädchen Roms aufsuchen«, verkündete er.
»Ich komme mit.«
In Graf Luitpolds Augen trat ein Leuchten. War sein alter Freund etwa zu neuem Leben erwacht? Der Freund, mit dem er sich früher so manches Vergnügen und ungezählte Mädchen geteilt hatte? Zwölf Jahre lang war dieser Freund wie vom Erdboden verschwunden gewesen, hatte sich zurückgezogen und sich von seinen Kämpfen offenbar ausschließlich bei einer einzigen Frau erholt. So etwas war ungesund und eines Königs auch nicht würdig. Die Königin hatte für Erben zu sorgen, aber nicht das Herz des Königs gefangenzuhalten.
»Worauf warten wir dann noch?« fragte er vergnügt.
Der Wein war gut, die Stimmung ausgelassen und jedes der Mädchen ausgesucht schön. Doch Pippin bewegte sich in dem einst so vertrauten Umfeld wie benommen. Freundlich lächelte er die Nymphe an, die sich auf seinen Schoß gesetzt hatte, und streichelte ihr zerstreut die Brust. Er beobachtete, wie sich Fremde und Freunde an willigen Körpern labten, und fragte sich verwundert, was er an diesem Ort eigentlich suchte. Mit unerbittlicher Klarheit begriff er, daß die unbestimmte Sehnsucht, die ihn hergetrieben hatte, an dieser Stätte nicht zu stillen war. Er verließ den Ort der Vergnügungen.
Doch er reiste immer noch nicht ab.
Inzwischen wußte Bertrada, daß sie wieder ein Kind erwartete. Sie setzte Pippin nicht davon in Kenntnis, denn sie wollte nicht, daß er ihretwegen überstürzt zurückkehrte. Wenn er sich so lange in Rom aufhielt, würde er seine Gründe dafür haben, auch wenn diese sich ihr in seinen Schreiben nicht erschlossen. Abt Fulrad, der inzwischen aus Rom eingetroffen war, konnte ihr nichts weiter mitteilen, als daß Pippin offensichtlich bemüht war, seine Bande mit dem Heiligen Vater zu festigen.
Bertrada hatte inzwischen wieder ihre Gemächer in Saint Denis bezogen, weil sie ihren Söhnen nah sein wollte. Die beiden waren in den vergangenen Monaten gewaltig in die Höhe geschossen. Bertrada dachte an die Prophezeiung ihres Vaters, daß sie mit Pippin riesengroße Kinder hervorbringen würde. Leider hatte sich das Verhältnis der beiden Brüder zueinander noch weiter verschlechtert.
»Zeus und Poseidon sind auch Brüder und streiten sich trotzdem ständig«,
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