Die Königsmacherin
Tierkot, Beerensaft und Asche. Die Muhme verrührte Erde mit Wasser, Harn, Vogelfedern, Moos, Gras und Kletten und knetete ihr diese Mischung in die Haare. Als der Schmutz auf ihrem Körper getrocknet war, wollte Bertrada die Tunika wieder überziehen. Dabei verhakten sich ihre Finger in einem Fadengeflecht. Als sie unwillig darauf blickte, erstarrte sie. Das halb gelöste, ausgebleichte Garn gehörte zu einem verbliebenen Stück Stickerei, deren Form Bertrada nicht nur erkannte, weil sie ihr unendlich vertraut war, sondern weil sie diese Arbeit selbst angefertigt hatte: die siebenblättrige Rose des Grafen von Laon. Bertrada war erst zwölf Jahre alt gewesen und hatte sich zum ersten Mal an dem komplizierten Motiv versucht. Mit so schauderhaftem Ergebnis, daß sie sich nicht traute, es der Mutter vorzulegen. Sie konnte die Fäden nicht mehr auftrennen; der gänzlich zerstochene Stoff hätte sie verraten. Nachts warf sie die Tunika heimlich über die Gartenmauer in der Hoffnung, jemand werde sie aufheben. Dies war wohl geschehen, nur gab sich ihre Mutter mit der Auskunft, das Kleidungsstück sei einfach irgendwie verschwunden, nicht zufrieden. Tuch war kostbar und teuer, und die Dienerschaft wurde einer peinlichen Befragung unterzogen. Da sich der Schuldige nicht fand, ließ der Graf zur Abschreckung eine Magd und einen Knecht auspeitschen, die er willkürlich aus der Schar heraussuchte. Die Schreie der Geschlagenen drangen zu Bertrada ins Zimmer, da half auch das Kissen nicht, in das sie ihren Kopf vergraben hatte.
In der Erinnerung an dieses so weit zurückliegende Ereignis riß sie wütend die letzten Fäden der unglückseligen Handarbeit aus dem Stoff und zog sich jenes leinene Hemdkleid an, das einst für die zwölfjährige Grafentochter geschneidert worden war und seinen Weg zur Familie der Muhme gefunden hatte.
Die Wäsche hatte dem derben Stoff, aus dem das Beinkleid des Aussätzigen gefertigt war, zwar den gröbsten Schmutz und die übelsten Ausdünstungen genommen, trotzdem war Bertrada froh, daß sich zwischen dieser Kleidung und ihrer Haut eine Schicht getrockneten Schlamms befand.
Währenddessen bereitete die Muhme eine Paste aus jenen Kräutern zu, die Fußweh lindern sollen. Sie schmierte Bertradas Sohlen damit ein, legte eine Schicht Erlenblätter darauf und umwickelte alles sorgsam mit dem in Streifen gerissenen Stoff aus dem Hemd des toten Mannes.
»Wenn dich die Füße unterwegs trotz der Blätter schmerzen, häng sie in einen Bach, aber geh erst weiter, wenn die Lappen wieder getrocknet sind«, riet die Muhme. »Nimm den Stoff nur ab, wenn du längere Zeit an einem Ort verweilst.«
Sie verschwand im Inneren der Höhle. Wenig später ertönte daraus der schrille Schrei eines Tiers. Entsetzt sprang Bertrada auf, vergaß ihre umwickelten Füße und stürzte der Länge nach zu Boden. Fast hätte sie die Muhme mitgerissen, die laut schimpfend mit etwas Flatterndem in der Hand wieder herausgetreten war.
»Beinah wäre sie mir entkommen!« sagte sie und hieb mit ihrem rostigen Messer der Fledermaus den Kopf ab. Das Blut fing sie in einer Rinde auf.
»Das muß ich doch nicht etwa trinken?« fragte Bertrada entsetzt.
Die Alte lachte.
»Nein, mein Kind, das schmierst du dir auf die Augen, damit du auch nachts so scharf wie eine Fledermaus sehen kannst. Aber erst werde ich dir schwarzen Beerensaft unter die Lider reiben und auch noch etwas Kohle. Dann wirst du nicht so von der Sonne geblendet sein, wenn du aus dem dunklen Wald in die Ebene kommst.«
Bertrada erschrak selbst vor dem Anblick, der sich ihr bot, als sie sich später im klaren Wasser des Baches spiegelte. Nichts erinnerte mehr an die einstige Grafentochter, nichts ließ unter all diesen Hüllen und Erdfarben das hübsche junge Mädchen erahnen.
Zum Abschied überreichte ihr die Muhme das rostige Messer.
Bertrada wollte es zuerst nicht annehmen. Wie sollte die Alte jetzt die Rinde vom Holz schälen, wie Wurzeln zerkleinern und Fledermäuse töten?
»Das laß meine Sorge sein«, erwiderte die Muhme und steckte das Messer in die Tasche des verschlissenen Umhangs, der einst dem Aussätzigen gehört hatte. »Du brauchst eine Waffe und ein Werkzeug, wenn du unterwegs bist. Denke aber daran, Kräuter niemals mit der Eisenklinge auszugraben, dann verlieren sie ihre Wirkung. Sprich immer ein Vaterunser, wenn du sie sammelst oder einsetzt …«
»… ernte sie nur vor Sonnenaufgang«, wiederholte Bertrada lächelnd, wie es die Muhme sie
Weitere Kostenlose Bücher