Die Königsmacherin
bei dir trägst«, erwiderte er mit den seltsam gutturalen Lauten, die es Bertrada so schwer machten, ihn zu verstehen.
Sie solle ihn Teles nennen, sagte er, das sei einmal sein Name gewesen, und er wolle in seine Heimat fern im Südosten zurückkehren. Bertrada war noch nie einem Sklaven begegnet. Die Hörigen auf dem Grafengut galten immerhin als menschliche Wesen. Ein Sklave hingegen hatte den rechtlichen Status eines Stücks Vieh und konnte, derart verdinglicht, verkauft, vererbt, mißhandelt und getötet werden. Neugierig musterte sie Teles von der Seite. Er sah nicht nur wie ein freier Mensch aus, sondern hielt sich sogar so aufrecht wie ein Herr. Sein Gang war federnd, und es fiel ihr schwer, mit ihm Schritt zu halten.
Sie übersah einen Stein, stolperte und verfluchte ihn laut. Teles schlug ihr vor, doch die Lappen von den Füßen zu nehmen und wie er lieber barfuß zu gehen. Sie würde dann ein besseres Gespür für die Unebenheiten des Weges entwickeln. Bertrada sah ihn an und schüttelte den Kopf. Er sah aus wie der Götterbote Hermes, der in Vaters kostbarem Buch abgebildet war! Ein gelehrter griechischer Sklave, der als Schreiber im Kloster von Laon beschäftigt worden war, hatte diese Handschrift für ihren Vater kopiert. Kurz danach war dieser Sklave gestorben, und man hatte unter seinem Lager ein kleines Vermögen entdeckt. Belustigt hatte der Abt des Klosters vor wenigen Monaten beim Abendessen in Bertradas Elternhaus berichtet, daß der Sklave sogar ein Testament verfaßt hatte! Darin hatte er verfügt, daß mit dieser ersparten Summe sein Sohn aus einem anderen Kloster freigekauft werden sollte. Diese Erzählung hatte in der Tafelrunde große Heiterkeit hervorgerufen und den Abt zu der Bemerkung veranlaßt, der Grieche sei wohl doch nicht so klug gewesen, wie man allgemein angenommen habe. Wenn er schon befähigt war, das Kloster um Einkünfte aus Nebenaufträgen zu betrügen, ihm also nicht seine gesamte Arbeitskraft zur Verfugung stellte, hätte er auch wissen müssen, daß es Sklaven in Kirchenbesitz verboten war, Testamente zu machen. Alles, was sie hatten, fiel natürlich der Kirche zu. Vom Erbe jenes toten Griechen konnte die Reise eines Mönches zum großen Sklavenmarkt in Verdun finanziert werden, wo er zwei junge kräftige Griechen für die Werkstättenarbeit und einen Muselmanen für die heimische Brauerei erwarb. Vielleicht war Teles einer dieser Männer gewesen, vielleicht war er sogar der Sohn des Toten? Vielleicht hatte der Vater das Bildnis gemalt, um seinem verlorenen Sohn ein Denkmal zu setzen? Bertrada wollte es lieber nicht wissen.
Soweit es möglich war, mied Teles die Wälder, weil er sie nicht kannte und sich vor ihrer Dunkelheit und dem unbekannten Leben darin fürchtete. Er suchte sie nur tagsüber auf, um im Schutz der Bäume zu schlafen. Nachts wanderte er über Wiesen und folgte Feldwegen, die zu Ansiedlungen und Gehöften führten. Als Hofsklave wußte er, in welchen Scheunen Futter lagerte, und in den hellen Sommernächten konnte er sich in den Gärten gütlich tun. Er huschte in die Ställe, stahl den Pferden den Hafer und den Schweinen die Essensreste, und in glücklichen Nächten gelang es ihm sogar, in Vorratskammern einzudringen, wo er seinen Hanfsack mit Brot, Schläuchen voll süßen Bieres, Käse und Würsten füllte. Manchmal stieß er sogar auf Wein. Der Wald mochte zwar den, der seine Schätze kannte, ernähren, aber bei den Menschen war mehr zu holen. Nur einmal kehrte er mit leeren Händen von seinem Beutezug zurück. Außer Atem berichtete er Bertrada, daß er mit knapper Not den wütenden Hunden des Bauern entkommen war. »Hunde fürchte ich mehr als alle anderen Tiere«, gestand er, als sie an einem Bach Rast machten. Hades wisse schon, weshalb er einen Hund an dem Eingang zur Unterwelt Wache halten ließ. Er deutete auf eine Pflanze mit kräftigem Stengel und traubenförmiger leuchtendblauer Blütenspitze. »Das Gift dieser Blume«, sagte er, »entstammt dem Speichel, der aus dem Maul des Kerberos tropft. Du siehst, die Macht der Unterwelt hört nicht an ihrer Pforte auf.«
Vor dieser Pflanze hatte die Muhme sie eindringlich gewarnt.
»Es gibt in dieser Gegend kein giftigeres Kraut«, erklärte sie. »Man nennt es Mönchshut oder Teufelskappe.« Teles starrte sie verblüfft an und brach dann in Gelächter aus. »Mönch oder Teufel! Das gefällt mir!«
»Mönche bekämpfen den Teufel«, erklärte Bertrada verstört. »Sie weihen ihr Leben Gott. Das
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