Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
Vom Netzwerk:
ich damals an diesem Nachmittag die Reifen gewechselt und die Bremsbeläge kontrolliert habe, das Winteröl gegen Sommeröl ausgetauscht habe... hier auf diesem kleinen Bildschirm ziehe ich eine volle Ölwanne unter dem Motorgehäuse hervor und trage sie unter einem Arm davon. Ich, zu hundert Prozent arbeitsunfähig, der arme Auslieferungsfahrer, der ich vor Gericht geschworen hatte, dass ich meine Arme nicht mal mehr hoch genug anheben könne, um mir die Zähne zu putzen. Ich, ein Krüppel, der für den Rest seines Erdenlebens ein Gnadenbrot bekommen sollte. Hier, mit nacktem Oberkörper auf dem Bildschirm, wo mein Achselschweiß einen dunkelbraunen Schatten auf die Ölwanne wirft, hier könnte ich glatt als Schwerathlet durchgehen.
    Dieser sonnengebräunte kleine Muskelmann, dem man ansieht, dass er in der freien Natur lebt, nicht viel isst und immer ausschlafen kann - so könnte ich ausgesehen haben, als ich neunzehn war.
    Das war die beste Zeit meines Lebens gewesen, und dieser Mann da in meinem Scheißhaus wollte mir das kaputtmachen.
    Schwere Fälle von Erwerbsunfähigkeit werden immer vor Gericht angefochten. Versicherungen setzen Agenten auf die Zahlungsempfänger an und lassen sie jahrelang beschatten. Und am Ende haben sie ihren Videobeweis, ein paar Minuten Film, wo deutlich zu sehen ist, wie der Betreffende einen schweren Rasenmäher auf die Ladefläche seines Pick-ups wuchtet. Das Video wird vor Gericht abgespielt, und damit ist der Fall erledigt. Behindertenrente gestrichen. Eben noch hatte man für den Rest seines Lebens ausgesorgt, man bekam jeden Monat einen hübschen Batzen Geld, Kostenerstattung für Arztbesuche und Medikamente und so viel Vicodin und Percodan und Oxycontin, wie man sich nur wünschen konnte. Dann sieht der Richter dieses Video - wie man den Rasenmäher auf den Pick-up hebt -, und alles ist im Eimer.
    Er ist fünfundvierzig oder fünfzig Jahre alt und hat eine Anzeige wegen Versicherungsbetrugs am Hals. Mehr als Mindestlohn ist für ihn nicht mehr drin, nie mehr. Keine Vergünstigungen. Keine Freizeit. Bis er weit über sechzig ist und Sozialhilfe beantragen kann.
    Sarah Broome erscheint in dieser Minute selbst ein Leben im Gefängnis (wegen Mordes) verlockender als die Aussicht, mit ihrer Vermögenssteuer in Verzug zu geraten, ihr Auto zu verlieren und als Obdachlose einen Einkaufswagen durch die Straßen zu schieben.
    Als ich in ihrer Situation war, stand mir lediglich eine Schachtel mit vier Dosen Insektenspray zur Verfügung. Die hatte ich mir angeschafft, weil sich unter meinem Wohnwagen ein Wespennest befand. Laut Gebrauchsanweisung sollte man die Dosen gut schütteln und dann von der Düse oben ein kleines Stück abbrechen. Von da an versprühte sich das Gift selbsttätig, bis die Dose leer war.
    Das Zeug tötet alles, stand auf dem Etikett.
    Der arme Detektiv. Ich stieg auf eine Leiter und ließ alle vier Dosen durch das Entlüftungsrohr des Scheißhauses fallen. Damit von dem giftigen Rauch nichts nach außen dringen konnte, hielt ich das Rohr mit einer Hand zu. Ich da oben, ein kleiner Hitler, neble diesen Detektiv mit Giftgas ein und höre ihn da unten husten und stöhnen. Schon das Geräusch, als ihm die Kotze hochkam und dann auf den Holzboden platschte, schon dieses Geräusch allein warf mich beinahe von der Leiter. Dazu der Schwefelgeruch des Insektensprays und der Kotzgestank. Und die Dosen versprühten ihren Giftnebel, bis er in weißen Wölkchen aus allen Löchern und Ritzen quoll. Nach Benzin stinkender Rauch strömte an allen Seiten aus dem Scheißhaus, und drinnen warf sich der Detektiv an die Wände, an die Tür, so lange und so heftig, bis die Arme unter den Schulterpolstern seines guten braunen Anzugs nur noch ein blutiger Brei waren. Bis er vor Erschöpfung nicht mehr konnte.
    Ich sitze hier mit meinem schmerzenden Bein und warte darauf, dass Sarah Broome endlich eine Lösung für ihr Problem findet, und es gibt so vieles, was ich ihr sagen möchte. Dass dem Detektiv und mir von dem Insektengift nur schlecht geworden ist. Wie es sich angefühlt hat, ihm mit einem Schraubenschlüssel den Schädel einzuschlagen. Wie das erste Dutzend Schläge nur eine Riesenschweinerei veranstaltet hat. Selbst wenn man mit beiden Händen zuschlägt, manscht man nur in Haut und Blut herum. Knochen kann man so nicht brechen. Das Blut macht den Schraubenschlüssel so glitschig, dass man ihn kaum noch halten kann, und man muss sich nach irgendetwas anderem umsehen, womit man die

Weitere Kostenlose Bücher