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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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habe ich als Ausfahrer für einen Getränkegroßhändler gearbeitet, Bars und Kneipen mit Bierfässern beliefert. Diese Lokale waren alle so klein, dass sie keine Ladezonen hatten; das heißt, man musste in zweiter Reihe halten, oder auf der Linksabbiegerspur, wo links und rechts der Verkehr an einem vorbeirauschte. Ein Fass auf dem Buckel, eine Sackkarre voller Bierkisten, wartete ich auf eine Lücke im Verkehr, um über die Straße zu kommen. Immer hinter dem Zeitplan, bis mir eines Tages zufallig ein Fass vom Ständer rutschte, mich umwarf und überrollte.
    Danach bekam ich eine Unterkunft, die fast so hübsch war wie diese hier. Einen rostigen Winnebago-Wohnwagen, der nirgendwo mehr hinfuhr, abgestellt neben einem winzigen Scheißhaus in einer Haltebucht an einer Schotterpiste mitten in der Wildnis. Wenn ich in die Stadt wollte, nahm ich meinen Ford Pinto mit vier Zylindern und Handschaltgetriebe. Ich bekam eine Rente wegen hundertprozentiger Arbeitsunfähigkeit und hatte jede Menge Zeit.
    Bis an mein Lebensende hatte ich nichts mehr zu tun, als meinen Wagen in Schuss zu halten. Ich nahm immer so viel Vicodin, dass schon ein Spaziergang in der Sonne sich wie eine Massage anfühlte. Wie eine komplette Ganzkörpermassage.
    Oder die Vögel am Futterhäuschen beobachten. Die Kolibris. Erdnüsse auslegen, und sich stoned kaputtlachen, wie die Eichhörnchen darum kämpfen, das ist schon kein schlechtes Leben. Der amerikanische Traum vom Leben ohne Wecker. Ohne Stechuhr. Ohne ein verdammtes Haarnetz tragen zu müssen. Ein Traumleben, wo man nicht erst irgendein Arschloch um Erlaubnis fragen muss, bevor man scheißen gehen kann.
    Nein, bis zu diesem Nachmittag hatte Sarah Broome nichts anderes zu tun, als Taschenbücher aus der Bücherei zu lesen. Sie sah den Kolibris zu. Schluckte kleine weiße Pillen. Ein Traumurlaub, der niemals zu Ende geht.
    Blöd dabei ist nur, dass man, ob verkrüppelt oder nicht, nach außen immer den Krüppel spielen muss. Man muss hinken oder den Kopf immer ganz steifhalten, damit alle sehen, dass man ihn nicht drehen kann. Auch wenn man mit Schmerzmitteln voll gepumpt ist, macht die Schauspielerei einen nach und nach wirklich krank. Täuscht man ein Symptom lange genug vor, bekommt man am Ende echte Schmerzen. Man humpelt herum, und irgendwann tut einem das Knie wirklich weh. Von der ewigen Sitzerei wird man dick und fett und kriegt einen Buckel.
    Der amerikanische Freizeittraum wird schnell langweilig. Aber man wird ja dafür bezahlt, dass man ein Krüppel ist. Vor dem Fernseher hockt. In einer Hängematte liegt und irgendwelche blöden Tiere beobachtet. Wer nicht arbeitet, schläft schlecht. Tag und Nacht ist man halb wach und langweilt sich.
    Was für Leute am hellichten Tage fernsehen, kann man an den drei Arten von Werbespots erkennen, die da ausgestrahlt werden. Entweder sind es Spots für Kliniken, in denen Alkoholiker trockengelegt werden. Oder für Anwaltskanzleien, die auf Schadensersatzklagen spezialisiert sind. Oder für Fernschulen, die einen zum Buchhalter ausbilden. Zum Privatdetektiv. Zum Schlosser.
    Wenn man tagsüber fernsieht, erfährt man, zu welcher demographischen Gruppe man jetzt gehört. Man ist entweder Alkoholiker. Oder ein Krüppel. Oder ein Idiot. Nach zwei Wochen auf der faulen Haut geht einem das Leben schwer auf den Sack.
    Zum Reisen hat man kein Geld. Aber den Garten umgraben, das kann man umsonst haben. An seinem Auto basteln. Ein Gemüsebeet anlegen.
    Eines Abends, es ist schon dunkel, schwirren ganze Wolken von Moskitos und Viehbremsen um das Außenlicht meines Wohnwagens herum. Ich sitze drinnen mit einer heißen Tasse Tee und etwas Vicodin im Blut, blicke von meinem Buch auf und beobachte das Gewimmel der Insekten. Und plötzlich höre ich ein Geräusch. Eine Männerstimme, die irgendwo draußen im Wald etwas ruft.
    Da schreit jemand um Hilfe. Bitte. Hilfe. Er ist ausgerutscht und hat sich am Rücken verletzt. Vom Baum gefallen, erzählt er mir.
    Er trägt einen braunen Anzug mit senfgelber Weste und braune Lederschuhe, es ist mitten in der Nacht, und er sagt, er habe Vögel beobachten wollen. Ein Fernglas hängt ihm um den Hals. So was bringen sie einem auf der Fernschule bei. Wirst du von dem Verdächtigen erwischt, behaupte, dass du Vögel beobachtest. Ich biete ihm an, seine Aktentasche zu tragen. Dann legen wir einander je einen Arm um die Schultern und beginnen einen extrem langsamen Dreibeinlauf zurück zu meinem außen beleuchteten Wohnwagen.
    Kurz

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