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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Monate. Schreib dein Meisterwerk. Ende.
    Der Rollstuhl klappert, als Mr. Whittier, von Miss Americas Hand losgelassen, nach unten plumpst. Staub steigt vom Teppich auf, die beiden Vorderräder des Stuhls springen bei seiner harten Landung hoch. Mr. Whittier zerrt mit den Händen an seiner Krawatte, um sie zu lockern. Er bückt sich und nimmt den Kaffeebecher vom Boden. Seine grauen, sonst über den Schädel gekämmten Haare hängen wie Fransen von den Rändern seiner fleckigen Glatze.
    Cora Reynolds frisst immer noch Kirschen und Sahne vom staubigen Teppich neben dem Sessel von Sankt Prolaps.
    Miss America sagt: »Das ist so was von noch nicht fertig mit Ihnen...« Sie fuchtelt mit dem Messer in die Runde. Und dann, mit einer schnellen Armbewegung, einem jähen Zucken ihrer Muskeln, wirft sie das Messer quer durch den ganzen Raum in den Rücken eines Sessels. Die Klinge steckt brummend im blauen Samt, der Griff bebt noch.
    Hinter seiner Videokamera sagt Agent Plaudertasche: »Geben Sie uns das schriftlich.«
    Cora Reynolds leckt mit ihrer rosa Raulederzunge immer noch wie wild an dem klebrigen Teppich, herum.
    Graf Schandmaul schreibt etwas in seinen Notizblock.
    »Also, Mrs. Clark«, sagt Lady Tramp, »die Villa Diodati?«
    »Dort hatten sie fünf Katzen«, sagt Mr. Whittier.
    »Fünf Katzen und acht große Hunde«, sagt Mrs. Clark, »drei Affen, einen Adler, eine Krähe und einen Falken.«
    Es war eine Sommergesellschaft im Jahre 1816, eine Gruppe junger Leute, die, weil es ständig regnete, die meiste Zeit im Haus festsaßen. Einige waren verheiratet, einige nicht. Männer und Frauen. Sie lasen sich Gespenstergeschichten vor, aber die Bücher, die sie da hatten, waren schrecklich schlecht. Irgendwann beschlossen sie, dass jeder von ihnen selbst eine Geschichte schreiben sollte. Irgendeine unheimliche Geschichte. Zur gegenseitigen Unterhaltung.
    »Wie der Runde Tisch im Algonquin?«, fragt Lady Tramp den Diamanten auf ihrem Handrücken.
    Bloß eine Gruppe von Freunden, die sich gemeinsam gruseln wollten.
    »Und was haben sie geschrieben?«, fragt Miss Rotz.
    Gelangweilte Bürgerkinder, die bloß die Zeit totschlagen wollten. Die in ihrem kalten feuchten Sommerhaus festsaßen.
    »Nicht viel«, sagt Mr. Whittier. »Nur die Geschichte von Frankenstein.«
    Mrs. Clark sagt: »Und Dracula .. .«
    Schwester Vigilante kommt die Treppe herunter. Durchquert das Foyer, schaut unter Tische und hinter Sessel.
    »Da drin«, sagt Mr. Whittier. Er hebt einen verschwommenen Finger und zeigt auf die Doppeltür des Zuschauersaals.
    Lady Tramp wendet den Kopf, sieht zu der Doppeltür, durch die Miss America sowie die Bowlingkugel verschwunden sind.
    »Mein verstorbener Mann und ich waren Experten in Sachen Langeweile«, sagt Lady Tramp und lässt uns warten, während sie drei, vier, fünf Schritte durchs Foyer macht, um das Messer aus dem Sesselrücken zu ziehen.
    Das Messer in der Hand, betrachtet sie die Klinge, fühlt mit einem Finger, wie scharf es ist, und sagt: »Ich könnte euch einiges davon erzählen, wie gelangweilte reiche Leute die Zeit totschlagen...«

Denkfabrik
Ein Gedicht über Lady Tramp
    »Drei Ärzte genügen«, sagt Lady Tramp, »um dich
    verschwinden zu lassen.«
    Bis ans Ende deines natürlichen Lebens.

    Lady Tramp auf der Bühne, ihre Beine mit Wachs epiliert. Ihre
    Augenlider dick schwarz gefärbt.
    Ihre Zähne weiß gebleicht wie Perlen. Ihre Haut
    massiert.
    Ihr Diamantring blitzt leuchtturmhell.
    Ihr Leinenkostüm, gesteppt und genäht, gerafft und
    eingehalten,
    bis niemand sonst auf der Welt es tragen kann.
    Ein Denkmal des Stillsitzens, das war sie,
    als ein Team von Fachkräften lang und hart
    und für sehr viel Geld daran arbeitete.

    Auf der Bühne, statt eines Scheinwerfers, ein Filmausschnitt:
    Ein Schleier aus Frauen in wehenden Pelzmänteln. Die Impression
    von Seide legt sich auf ihr Gesicht.
    Im Film: die Rüstung aus Schmuck, Gold und Platin, sie warnt
    den Zuschauer
    mit dem roten Funkeln von Rubinen und knallgelben Saphiren.

    Lady Tramp sagt: »Es ist kein Vergnügen, ein Genie als Vater
    zu haben.«
    Oder als Mutter oder Ehemann oder Ehefrau, da könnt ihr jeden
    fragen.
    Jeden Reichen.
    Trotzdem, sagt sie, drei Ärzte genügen ...
    Dank dem Denkfabrik-Sanatorium.

    »Wirklich hervorragende Leute«, sagt sie, »zutiefst zufrieden,
    wenn sie
    in ihrem Beruf aufgehen.«
    Wenn Thomas Edison noch leben würde. Madame Curie. Albert
    Einstein.
    Ihre Männer, Frauen, Söhne, Töchter würden die

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