Die Kolonie
Straße bringen lassen.
Das alles, weil um Punkt zehn die Zentrale wieder mit ihrem Programm dran ist - Soaps oder Promi-Talkshows.
Der alte Knacker auf dem Monitor hat genau so ein Hemd und genau so eine Krawatte wie der Ölige. Die gleichen blauen Augen. Seine Idee ist schon in Ordnung. Bloß das Timing stimmt nicht.
»Ich möchte Ihnen nur einen Gefallen tun«, erklärte der Ölige der Blondine. Er hat immer noch das Vorher-Foto von ihr in der Hand und sagt: »Darf ich Ihnen einen guten Rat geben?«
Klar, sagt sie, nur zu. Und während sie ihm lauscht, nimmt sie einen Pappbecher mit kaltem Kaffee in die Hand; die Farbe der Lippenstiftabdrücke am Rand passen genau zu dem rosa Lippenstift auf ihrem Mund.
Diese Blondine mit dem zu grellen Haar ist jetzt die persönliche Privat-ADI des Öligen.
Vor allem, erklärt er, darfst du dich niemals von diesen Nachmittags-Talkshow-Romeos ins Bett locken lassen. Er meint nicht den, der gerade auf Sendung ist. Sondern die Verkäufer, vor denen muss man sich hüten, vor diesen Kerlen, die von Stadt zu Stadt ziehen und ihre Wunderstaubwedel und Wie-werde-ich-reich-Pläne verhökern. Denen begegnest du überall im Land, in den Garderoben sämtlicher Sendestationen. Und immer seid ihr einsam vom Leben auf der Straße. Und am Ende jedes Tages erwartet euch nichts als ein Motelzimmer.
Er spricht aus Erfahrung. Diese Garderobenaffären bringen nichts.
»Erinnerst du dich an die Frau mit den unzerreißbaren Strumpfhosen - Nev-R-Run?«, fragt er. Und die Blondine nickt.
»Das war meine Mom«, sagt der Ölige. Sie hat seinen Dad kennen gelernt, als beide auf Verkaufstour waren, und sich immer wieder in Garderoben wie dieser hier begegnet sind. Geheiratet hat er sie aber nicht. Als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, hat er sie sitzen lassen. Und ihr Strumpfhosenwerbevertrag wurde auch gleich gekündigt. Der Ölige wuchs vor der Glotze auf, mit allen diesen Dauerwerbeprogrammen, und versuchte, herauszufinden, wer von diesen immer lächelnden Quasselheinis sein Vater war.
»Deshalb bin ich in diesem Geschäft«, erklärt er unserer Blondine.
Also: Nur geschäftliche Beziehungen, das ist die Regel Nummer eins.
Die Blondine sagt: »Deine Mom ist wirklich sehr, sehr hübsch...«
Seine Mom ... Er sagt: Diese Nev-R-Run-Strumpfhose muss aus Asbest gewesen sein. Vor ein paar Monaten hat sie Krebs gekriegt.
»Sie war verdammt hässlich«, sagt er, »als sie starb.«
Jeden Augenblick wird die Garderobentür aufschwingen, und die Aufnahmeleiterin wird hereinkommen und sagen, es tut ihr Leid, aber sie müssen noch einen Gast rausnehmen. Sie wird die hellblonden Haare des Mädchens ansehen. Das marineblaue Sportsakko des Öligen.
Block F wurde gestrichen, als die Zentrale mit dem Ozeandampfer dazwischenkam. Ebenso Block E - eine Farbberaterin -, als die Sendung sich noch mehr in die Länge zog. Und schließlich wurde auch noch ein für Block D vorgesehenes Kinderbuch rausgeschmissen.
Die traurige Wahrheit ist, selbst wenn es dir gelingt, dein Haar im richtigen Blond zu färben und lustig und voller Tatendrang aufzutreten, wenn du tatsächlich gut rüberkommst, selbst dann könnte dir irgendein hergelaufener Terrorist mit einem Teppichmesser dein Sieben-Minuten-Segment verpatzen. Sicher, man könnte deine Nummer aufzeichnen und am nächsten Tag senden, aber das tun sie in aller Regel nicht. Sie sind schon für die ganze Woche ausgebucht, und wenn sie morgen dich senden, müssen sie jemand anderen rausschmeißen...
In ihrer letzten gemeinsamen Minute in dieser Garderobe fragt der Ölige, ob er unserer Blondine noch einen Gefallen tun darf.
»Du möchtest mir deinen Block überlassen?«, sagt sie. Und lächelt, genau wie auf dem Bild. Und ihre Zähne sind nicht allzu übel.
»Nein«, sagt er. »Aber wenn jemand charmant ist... wenn man dir einen Witz erzählt...«, sagt der Ölige und reißt ihr hässliches Vorher-Foto entzwei. Er legt die beiden Hälften zusammen und reißt sie in Viertel. Dann in Achtel. Dann in noch kleinere Stücke. Fetzen. Schnipsel. Konfetti. Er sagt: »Wenn du im Fernsehen Erfolg haben willst, musst du ein Lächeln wenigstens heucheln können.«
Wenigstens so tun, als ob du die Leute magst.
Der rosa geschminkte Mund der Blondine klappt auf, immer weiter und weiter. Ihre Lippen öffnen sich und gehen zu, zweimal, dreimal, wie bei einem Fisch, der nach Luft schnappt. Sie sagt: »Du Arsch...«
In diesem Moment kommt die Aufnahmeleiterin mit dem alten Knacker
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