Die Kolonie
Jahrzehnten
der letzte Schrei war.
Ihre Lippen mit Silikon zu Größe und Form von Saugnäpfen
aufgepolstert
und in einer vergessenen Nuance der Farbe Apricot tätowiert.
Ihre Frisur und ihre Kleidung stammen noch aus einer Zeit,
als sie den Mut verloren und es aufgegeben hatte,
noch irgendein Risiko einzugehen.
Auf der Bühne, statt eines Scheinwerfers, ein Filmausschnitt.
Gezeigt werden Privataufnahmen: ein kleines Mädchen mit einem
Partyhut aus Papier,
mit einem Gummiband unterm Kinn befestigt.
Die Kleine bläst fünf Geburtstagskerzen aus.
»Bevor du gefeuert wirst«, sagt Mrs. Clark, »arbeitest du diese
neue Person ein. Du sagst ihr...«
Nicht berühren! Heiß!
Füße runter vom Sofa!
Und - kauf dir nie etwas mit einem Kunststoffreißverschluss.
Jeder Vortrag zwingt dich, dir noch einmal jede Entscheidung
anzusehen, die du jemals getroffen hast,
die ganze Kette der Lektionen deines Lebens.
Und nach all diesen Jahren siehst du, wie wenig du hast,
womit du etwas anfangen kannst,
wie beschränkt dein Leben und deine Erziehung gewesen sind.
Wie kümmerlich dein Mut und deine Neugier waren.
Zu schweigen von deinen Erwartungen.
Mrs. Clark auf der Bühne. Sie seufzt, ihre Brüste heben sich
groß wie Souffles
oder Brotlaibe, und sinken, fallen, sacken wieder herab.
Sie sagt, der beste Rat ist vielleicht der, den man ihr beim besten
Willen
nicht erteilen kann:
Dich als Mittelpunkt der Welt zu bewahren,
dir selbst die größte Autorität in allen Fragen zu bleiben,
dein eigener Experte in allen Dingen,
unfehlbar,
allwissend.
Und immer, an jedem Tag des Monats, für alle Zeit:
Denk an Empfängnisverhütung.
Post-Production
Eine Erzählung von Mrs. Clark
Tess und Nelson Clark machten die ersten paar Tage weiter, als sei nichts passiert. Das heißt, sie stiegen in ihre Arbeitskleidung und schlössen die Tür ihres Autos auf und fuhren zum Büro. Abends saßen sie schweigend am Küchentisch. Sie aßen etwas. Na und.
Der Verleih rief an und sagte, sie müssten die Kameraausrüstung zurückbringen.
Nelson war zu Hause bei Tess oder nicht.
Am dritten Tag verließ sie das Bett nur, um auf die Toilette zu gehen. Sie rief nicht an im Büro, um sich krank zu melden. Ihr Herz schlug einfach immer weiter, sie konnte machen, was sie wollte. Womit nicht gesagt ist, dass sie etwas wollte.
Es hatte keinen Zweck, mit dem Trinken anzufangen oder auszumessen, wie lang ein Schlauch sein musste, um die Auspuffgase durchs Fahrerfenster ins Auto zu leiten. Erst recht hatte es keinen Zweck, einen Arzt aufzusuchen und ihm so lange etwas vorzulügen, bis er ihr anständige Schlaftabletten verschrieb. Was immer sie sonst noch tun konnte, zum Beispiel sich eine Rasierklinge ins Handgelenk drücken, es wäre bloß ein weiterer unsinniger Versuch, ihr Problem zu lösen.
Kamera und Lampen lagen immer noch um das Bett der Clarks herum.
Selbstmord wäre nur ein weiterer aggressiver Plan, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Wenn sie die Kamera und die Lichtquellen einschaltete, hätten sie den Tod auf Video. Ein Snuff Movie in zwei Teilen. Eine kleine Serie. Noch so ein großes Projekt. Sich selbst umzubringen würde nur heißen: Tess Clark übertreibt mal wieder. Anfang, Mittelteil und Ende, alles noch mal von vorn.
Zur Arbeit zu gehen schien verrückt. Überhaupt noch eine Mahlzeit zu sich nehmen war ungefähr so sinnvoll, wie Tulpenzwiebeln im Schatten einer fallenden Atombombe zu pflanzen.
Das ist jetzt alles eine Rückblende, aber damals war es Nelson, der nach einem Blick auf ihren Kontostand sagte, ein Baby könnten sie sich nur leisten, wenn sie einen Porno drehen und verkaufen würden.
»Eines Tages«, sagt Mrs. Clark, »wird dir das auch passieren, und in dieser einen Sekunde wird es dir vorkommen, als ob du schon hundert Jahre zu lang auf der Welt bist...«
Als sie den fünften Tag im Bett lagen, hätten sie schwören können, seit Anbeginn aller Zeiten auf der Welt zu sein. Tagelang im Bett zu liegen, da kommt man sich vor wie ein Vampir. Stell dir vor, du lebst Tausende von Jahren und machst immer wieder denselben dummen Fehler. Jahrtausendelang hängst du in Bars und Clubs herum und glaubst, dich zu amüsieren. Du glaubst, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Du hast einen Mann, und du hältst ihn für recht ansehnlich. Du hältst euch beide für ein total scharfes Pärchen.
Die Clarks glaubten, viele Paare drehten zu Haue Pornovideos und kämen so zu Reichtum. Die Videoindustrie
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