Die Kolonie
floriert nur, weil Pornos die Nachfrage angekurbelt haben. Alle Paare außer ihnen verdienten in ihrer Freizeit etwas dazu. Andere Ehepaare verschwendeten ihren Sex nicht einfach unbeobachtet, unbeachtet von Fremden. Die mieteten erst einmal eine Kamera und ein Editiergerät. Die suchten sich einen Verleih für ihren Film. Da sie verheiratet sind, sagte Nelson, ist das nicht mal eine Sünde.
Es ist absolut sinnlos, jetzt aus dem Bett zu steigen und das Video zu löschen. Ebenso gut könnte man einen Spiegel zer 1 trümmern, weil er einem die Wahrheit zeigt. Wie wenn man den Überbringer schlechter Nachrichten erschlägt.
»Wenn man tagelang im Bett liegt«, sagt Mrs. Clark, »wird einem klar, dass es nicht die Holzpflöcke sind, von denen Vampire getötet werden.« Sondern die vielen emotionalen Belastungen und Enttäuschungen, die sie durch die Jahrhunderte mit sich herumschleppen müssen.
Man bildet sich gern ein, dass man mit der Zeit immer lustiger und klüger wird. Solange man sich bemüht, ist man auf der Siegerstraße. So würde man sich für die ersten zweihundert Jahre oder so als Vampir fühlen. Danach hätte man nur noch immer dieselbe gescheiterte Beziehung, multipliziert mit zweihundert.
Na und.
Das Dumme an ewiger Jugend ist, dass man dazu neigt, alles auf die lange Bank zu schieben. Also brachten die Clarks sich bei, wie man ein Video macht. Dazu gehörte, dass Nelson sich die Haare um den Schwanzansatz abrasierte, damit er größer aussah. Tess ließ sich Brustimplantate einsetzen, so groß, wie ihr Rückgrat es gerade noch aushalten konnte. In der Zeit eines Mittagsschläfchens erhielt sie jene aufrecht stehenden Brüste, die man nur in Pornofilmen zu sehen bekommt. Die Lippen ließ sie sich mit Schaumstoffwülsten aufpolstern, so dass sie bis an ihr Lebensende mit einer Blowjob-Schnute herumlief. Zweimal täglich legten sich die Clarks für zwanzig Minuten auf die Sonnenbank. Sie lasen sich die Bedienungsanleitung für das Editiergerät vor, damit sie die Aufnahmen auf die Sekunde genau schneiden konnten.
Jeder Augenblick auf dem Band ist kodiert: mit Stunde, Minute, Sekunde und exakter Bildnummer. Der Code 01:34:14:25 bedeutete Stunde eins, Minute vierunddreißig, Sekunde vierzehn und Einzelbild Nummer fünfundzwanzig. Beim Schneiden eines Pornofilms stellt man eine falsche Wirklichkeit her. Man stellt Zusammenhänge her, indem man verschiedene Ereignisse aneinander fügt. Eine solche Bilderstrecke soll den Betrachter von einem Geschlechtsakt zum nächsten führen. Man muss Kontinuität vortäuschen. Die Illusion muss organisch wirken.
Die Oralszenen hatten sie größtenteils fertig bei 10:22:19:02.
Dann machten sie die Genitalaufnahmen bis 25:44:15:17.
Die perianalen und perivaginalen Aufnahmen waren fertig bis 31:25:21:09.
Und die Analszenen beendeten sie bei 46:34:07:15.
Da diese Filme immer auf dasselbe hinauslaufen, ist das Wichtigste daran die Geschichte, wie es dahin kommt, die Reise zum großen Orgasmus. Der Orgasmus selbst ist bloß eine Formalität. Auf Vorrat abgedreht.
Was man auch noch zu bedenken hat: Eine Einstellung in einem Video ist durchschnittlich acht bis fünfzehn Sekunden lang. Tess und Nelson arbeiteten also jeweils etwa zwanzig Sekunden miteinander. Dann standen sie auf und drückten auf PAUSE. Sie verstellten den Kamerawinkel und leuchteten die Szene neu aus. Dann filmten sie wieder zwanzig Sekunden. Ihre Ehe war noch in der Phase, wo Sex Spaß macht, aber nach dem ersten Drehtag hielt sie nur noch der Gedanke an das Geld bei der Stange. Das Geld und das Baby.
»Uns beide trieb nur die Energie«, sagt Mrs. Clark, »die einen Hund dazu treibt, herumzuspringen, bevor er gefüttert wird.«
Tess und Nelson hatten noch nie besser ausgesehen als bei diesen Dreharbeiten. Das war das Schlimmste. Fast eine Woche lang hielten sie sich praktisch nur im Schlafzimmer auf. Auch wenn sie immer bloß für jeweils zwanzig Sekunden miteinander beschäftigt waren, hatten sie zusammengerechnet etwa achtundvierzig Stunden Sex in dieser Woche. Die heißen Scheinwerfer saugten ihnen den Schweiß aus der gebräunten Haut.
Um die Spannung zu halten, stellten sie einen Fernseher neben das Bett und ließen Pornovideos laufen, die sie sehen konnten, während sie sich selber filmten. Die Videos wurden zu Stichwortgebern, zu Telepromptern, an die sie sich hielten. Und wie die Clarks schienen auch die Leute in den Videos sich auf einem Bildschirm neben der Kamera ein Pornovideo anzusehen.
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