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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Schemen vor schwarzem Hintergrund. Mr. Whittier in seinem rotsamtenen, mit goldenen Schnüren umwickelten Kokon, er scheint durch die Dunkelheit zu schweben. Er ist kein Darsteller mehr, bloß noch ein Requisit. Unsere Marionette. Ein Sternbild, dem wir Geschichten andichten können, damit wir sagen können, wir haben verstanden.
    Genossin Snarky sagt durch ein Spitzentüchlein vor ihrem Gesicht: »Ich weiß nicht, warum wir weinen sollten.« Sie atmet durch das alte Parfüm des Tuchs, um dem Gestank zu entgehen. Sie sagt: »Ich jedenfalls würde in dem Film nicht weinen.« Sie sagt: »Ich schwöre beim Rosentattoo auf meinem Arsch, dass der Alte mich vergewaltigt hat.«
    Hier bleibt der Begräbniszug stehen. An dieser Stelle ist Genossin Snarky ein Opfer unter Opfern. Wir anderen sind nur ihre Nebendarsteller.
    Mrs. Clark an der Spitze dreht sich um und sagt: » Was hat er?«
    Und Agent Plaudertasche sagt hinter seiner Kamera: »Mich auch. Mit hat er zuerst vergewaltigt.«
    Sankt Prolaps sagt: »Tja, was soll's ... Mich hat er auch gepoppt.«
    Als ob der abgemergelte Sankt Prolaps überhaupt genug Arsch für so was hätte.
    Und Mrs. Clark sagt: »Das ist nicht witzig. Ganz und gar nicht.«
    »Starkes Stück«, antwortet ihr der Kuppler. »Als Sie mich vergewaltigt haben, war das auch nicht witzig.«
    Der Herzog der Vandalen schüttelt seinen Pferdeschwanz und sagt zu dem Kuppler: »Du würdest nicht mal für Geld einen finden, der dich vergewaltigt.«
    Und Mutter Natur lacht - und pustet einen Hagelschauer Schorf und Blut durch die Gegend.
    Der Teufel ist tot. Lang lebe der Teufel.
    Wir tragen den Satan zu Grabe. Mr. Whittier ist der Dämon, neben dem unsere vergangenen Sünden zu Nichtigkeiten schrumpfen. Die Geschichte seiner Verbrechen wird uns im jungfräulichen Weiß der Opfer erstrahlen lassen.
    Wir werden nicht als Sünder erscheinen, sondern als die, an denen man sich versündigt hat.
    Trotzdem, durch seinen Tod ist eine Stelle frei geworden, die keiner von uns haben will.
    In der Filmversion wird man sehen, wie wir Mr. Whittier unter Tränen alles verzeihen, während Mrs. Clark die Peitsche schwingt.
    Der Teufel ist tot. Lang lebe der Teufel.
    Ohne Sündenbock würden wir keine Sekunde überleben.
    Über den schwärzen Teppich im Mittelgang des Zuschauersaals, durch die rote chinesische Wandelhalle, die blaue französische Treppe hinab tragen wir Mr. Whittier. Durch das leuchtend orange Maya-Foyer, wo Mutter Natur sich eine weiße Strähne Perückenhaars aus der Stirn schiebt, dass ihre Glöckchen klingeln. Sie trägt hochgetürmte graue Locken, die von irgendeiner Oper übrig geblieben sind. Die Locken, schweißgetränkt, hängen herab, und Mutter Natur sagt: »Schwitzt ihr auch so?«
    Der Herzog der Vandalen keucht unter der Last des Toten auf seiner Schulter, keuchend zerrt er am Kragen seiner Smokingjacke herum.
    Auch das rote Seidenbündel ist feucht von Schweiß. Dazu der Bastelleimgeruch der Ketone. Hunger.
    Und Reverend Gottlos sagt: »Kein Wunder, dass du schwitzt. Du hast die Perücke verkehrt herum auf.«
    Und der Kuppler sagt: »Hört mal.«
    Der Keller gähnt uns stockfinster entgegen. Die Holztreppe hinunter ist schmal. Von jenseits der Finsternis kommt ein Rumpeln und Knurren.
    Es muss etwas Rätselhaftes passieren.
    Es muss etwas Bedrohliches passieren.
    »Das Gespenst«, sagt Baronin Frostbeule und kriegt den runzligen Mund nicht mehr zu.
    Es ist der Heizkessel, er läuft auf vollen Touren. Das Gebläse pumpt heiße Luft in die Schächte. Der Gasbrenner tuckert. Der Heizkessel, den Mr. Whittier unbrauchbar gemacht hat.
    Jemand hat ihn repariert.
    Irgendwo in der Finsternis schreit eine Katze. Einmal.
    Etwas muss passieren. Also tragen wir Mr. Whittiers Leiche die Treppe hinunter.
    Wie alle schwitzen. Vergeuden noch mehr Energie in dieser unmöglichen neuen Hitze.
    Mutter Natur folgt dem Leichnam in die Finsternis und sagt: »Was weißt du denn, wie man Perücken trägt?« Ihr Diamantring blitzt auf, als sie mit den Stummeln beider Hände die graue Perücke auf ihrem Kopf um hundertachtzig Grad herumdreht. Sie sagt zu Reverend Gottlos: »Was weiß denn ein Rindvieh wie du von Christian-Lacroix-Turnüren?«
    Und Reverend Gottlos sagt: »Du meinst Lacroix-Tulpenrock-Turnüren?« Er sagt: »Du würdest staunen.«

Babel
Ein Gedicht über Reverend Gottlos
    »Bis Genesis, Kapitel elf«, sagt Reverend Gottlos,
    »hatten wir keinen Krieg.«
    Bis Gott uns aufgehetzt hat, einander bis ans Ende

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