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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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eingefallen, eingesunken und hohl. Sie ist tot.
    Als Graf Schandmaul ihre Lider hochschiebt, bleiben die Pupillen winzig klein. Wir kontrollieren ihre Arme, ob die Totenstarre schon eingetreten ist; suchen ihre Haut nach Flecken ab, aber sie ist noch frisches Fleisch.
    Die Tantiemen für unsere Geschichte jetzt nur noch durch vierzehn geteilt.
    Graf Schandmaul klappt die Augen wieder zu.
    Durch dreizehn, wenn Miss Rotz so weiterhustet. Durch zwölf, wenn der Kuppler den Mut aufbringt, sich den Schwanz abzuhacken.
    Ab jetzt ist Genossin Snarky nur noch Nebendarstellerin. Eine Tragöde, die wir anderen erzählen können. Wie tapfer sie war, wie freundlich, jetzt, wo sie tot ist. Bloß noch ein Requisit in unserer Geschichte.
    »Wenn sie tot ist - können wir sie essen«, sagt Miss America. Sie steht oben auf der Treppe und hält sich mit einer Hand am goldenen Geländer fest. Mit der anderen hält sie sich den Bauch.
    »Ihr wisst, dass sie euch gegessen hätte«, sagt sie. Auf das Geländer gestützt, getragen von den fetten goldenen Amoretten, sagt Miss America: »Sie würde das wollen.«
    Und Graf Schandmaul sagt: »Dreht sie um, wenn das die Sache für euch einfacher macht. Damit ihr ihr Gesicht nicht zu sehen braucht.«
    Also drehen wir sie um, und der Killerkoch kniet sich auf den Teppich und schiebt die Röcke und Petticoats, Musselin und Krinoline und das ganze Zeug von ihrer Taille runter, bis nur noch eine schlaffe gelbe Baumwollunterhose ihren flachen, bleichen Hintern bedeckt. Er sagt: »Seid ihr sicher, dass sie tot ist?«
    Miss America beugt sich runter, legt zwei Finger an den Spinnwebhals in Genossin Snarkys hohem Spitzenkragen und befühlt die blauweiße Haut. Der Killerkoch sieht ihr zu, das Ausbeinmesser, eine fingerlange Stahlklinge, einsatzbereit in einer Hand. Mit der anderen hält er die Kleidermassen zurück, weiße und graue Spitze, gelben Musselin, Petticoats und Röcke. Er besieht das Messer und sagt: »Ob wir das sterilisieren sollten?«
    »Du nimmst ihr ja nicht den Blinddarm raus«, sagt Miss America und tastet mit ihren zwei Fingern immer noch an dem blauweißen Hals herum. »Wenn es dich beruhigt«, sagt sie, »kochen wir das Fleisch eben ein bisschen länger.«
    In gewisser Hinsicht waren die Leute von der Tragödie am Donner-Pass besser dran, sagt Graf Schandmaul und schreibt etwas in seinen Notizblock. Und auch das Flugzeug mit den südamerikanischen Rugbyspielern, das 1972 in den Anden notlanden musste. Die waren besser dran als wir. Die hatten das kalte Wetter auf ihrer Seite. Tiefkühlung. Wenn jemand starb, hatten sie alle Zeit der Welt, die Detailfragen zu klären, was tolerables humanes Verhalten betrifft. Man begrub den Toten im Schnee und ließ ihn da, bis alle so hungrig waren, dass es keine Rolle mehr spielte.
    Hier - und auch nicht im Keller, wo die in Samt gewickelten Leichen von Lady Tramp, Mr. Whittier und dem Herzog der Vandalen lagern - herrscht kein Frost. Wenn wir nicht sofort mit dem Essen anfangen, bevor die Bakterien in Genossin Snarky sich selbst ans Mampfen machen, wird sie uns verderben. Sich aufblähen und verwesen. Wird so giftig sein, dass wir sie ewig in der Mikrowelle herumdrehen können, ohne dass sie jemals wieder genießbar werden wird.
    Nein, wenn wir es nicht tun - sie schlachten, und zwar auf der Stelle, auf diesen geblümten Teppichen zwischen den Gobelinsofas und Kristallwandleuchtern im Foyer des zweiten Rangs - wird morgen einer von uns gestorben sein. Oder übermorgen. Und dann wird der Killerkoch mit seinem Ausbeinmesser unsere Unterwäsche aufschlitzen und den welken Rest unseres Hinterns und unsere stockdünnen Schenkel zum Vorschein bringen. Unsere grauen Kniekehlen.
    Einer von uns: nur Fleisch, das bald verderben wird.
    Auf einer flachen Arschbacke, unterm aufgewölbten Rand des, Höschens, zeigt sich ein Tattoo, eine Rosenblüte. Genau wie sie gesagt hat.
    Diese in den Anden verschollenen Rugbyspieler. Der Killerkoch hat ihr Buch gelesen, und daher weiß er, dass man den Hintern als Erstes zerlegen muss.
    Miss America nimmt ihre zwei Finger von dem kalten Hals und steht auf. Sie bläst sich in die Hände, reibt sie schnell aneinander und steckt sie in die Falten ihres Rocks. »Snarky ist tot«, sagt sie.
    Hinter ihr geht Baronin Frostbeule die Treppe ins untere Foyer hinunter. Ihre Röcke schleifen raschelnd nach, ihre Stimme verliert sich schon, als sie sagt: »Ich besorge dir einen Teller oder eine Schüssel oder so was.« Sie sagt: »Es

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