Die Kommissarin und der Tote im Fjord
marschierte auf das Universitätsgebäude zu.
Gunnarstranda sah ihr nach. Lena ging bei Rot über die Straße. Rief nach Frølich, der ihr sofort entgegenkam. Frølich hörte ihr zu, ohne eine Miene zu verziehen. Dann nickte er.
Gunnarstranda atmete seufzend aus. Frølich hatte also zugestimmt – wie er befürchtet hatte. Gunnarstranda verschränkte die Hände auf dem Rücken, drehte sich um und wanderte in die entgegengesetzte Richtung auf das Storting zu.
Lena holte ihn ein.
»Wir haben einen Plan«, sagte sie und lächelte breit.
»Das hatte ich befürchtet«, sagte Gunnarstranda.
Sie spürte seinen Missmut sofort und fragte: »Aber was kann denn eigentlich schiefgehen?«
»1949 haben drei Forscher ein Raketenexperiment in Kalifornien durchgeführt«, sagte Gunnarstranda. »Einer von ihnen hieß Edward J. Murphy. Hinterher formulierte er etwas, was bis heute Murphys Gesetz heißt.«
Lena seufzte.
Sie gingen schweigend nebeneinander her, erreichten den Egertorget.
»Hast du einen besseren Vorschlag?«, fragte Lena schließlich.
Gunnarstranda schüttelte den Kopf. »Lass uns morgen weiter darüber sprechen.«
Sie trennten sich. Lena ging noch ein paar Meter die Karl Johans Gate entlang. Aber der Gedanke an ihre Idee ließ sie nicht mehr los.
Sie blieb stehen. Menschen strömten dicht gedrängt in alle Richtungen.
Sie mussten Steffen aus seinem Versteck locken. Aber wie konnte sie Gunnarstranda dazu bewegen, zuzustimmen? Die Antwort lag auf der Hand. Sie musste ehrlich sein. Alle Karten mussten auf den Tisch. Sie konnte die Geschichte mit Stian Rømer nicht mehr verschweigen. Lena schloss die Augen. Etwas in ihr wollte widersprechen. Warum? Wovor hast du Angst? Du musst sagen, was passiert ist, und es dir von der Seele reden.
Es war klar. Sie hatte die Wahl: Entweder sie ging nach Hause und vergaß die ganze Geschichte – oder sie ging den Weg zu Ende. Was sollte sie tun?
Lena drehte um und ging zurück. Erst langsam, dann schneller. Sie musste ihn einholen. Wo war er? Wohin konnte er gegangen sein? Sie versuchte es an der Bushaltestelle in der Akersgate und bog nach rechts ab.
Gunnarstranda war nicht zu sehen. Sie ging schneller.
Da entdeckte sie seine charakteristische Gestalt vor den Glasfenstern in der unteren Etage des VG-Zeitungshauses. Gunnarstranda stand mit dem Handy in der Hand und gab eine Nummer ein.
4
Gunnarstranda nutzte das Licht der Schaufenster, um die richtige Nummer zu finden. Er rief den Sicherheitsdienst im Regierungsgebäude an. Dort wurde ihm berichtet, dass sich Frikk Råholt immer noch in seinem Büro aufhielt.
Gunnarstranda ging zur Møllergata hinunter und stellte sich vor das Tor zur Tiefgarage des Regierungsgebäudes. Ob Frikk Råholt nun mit seinem Privatwagen fuhr oder nicht – Gunnarstranda nahm an, dass er diese Ausfahrt benutzen würde. Er wartete nicht einmal eine Viertelstunde, während ein gleichmäßiger Strom von Beamten an ihm vorbeizog, manche im Auto, manche zu Fuß.
Råholt kam zu Fuß. Die Ausfahrt der Tiefgarage leuchtete gelb hinter der Silhouette im dunklen Wintermantel, die mit schnellen, zielstrebigen Schritten auf die Straße trat. Als das Tor wieder zuglitt, waren bald Råholts feine Gesichtszüge im Halbdunkel zu erkennen.
Als sich ihre Blicke trafen, blieb Råholt stehen.
»Ja bitte?«, fragte er.
»Gunnarstranda, Kriminalpolizei Oslo.« Gunnarstranda machte sich die Mühe, seinen Ausweis hervorzuholen, den er um den Hals hängen hatte.
Råholt seinerseits machte sich die Mühe, ihn genau zu studieren.
»Worum geht es?«
»Um Verschiedenes. Sie sollten ein paar Minuten dafür opfern.«
Råholt sah ihn fragend an.
»Es geht in erster Linie um einen Auftrag, den Sie für First in Line übernommen haben.«
»Ich habe die Stelle noch nicht angetreten.«
»Und wie kommt es dann, dass ich Ihre Klientenliste kenne?«
Råholt verzog keine Miene.
»Ich kann Ihnen zuerst den Zusammenhang erklären«, sagte Gunnarstranda. »Meine Kollegin wurde vom Dienst suspendiert, weil sie angeblich vertrauliche Inhalte eines Dokuments an die Presse weitergegeben haben soll. Ich weiß, dass sie das niemals getan hat. Allerdings habe ich jetzt das Dokument vorliegen, das Sie persönlich an den Journalisten gefaxt haben, von zuhause aus. Ich habe es von dem Journalisten bekommen.«
Frikk Råholt sagte immer noch nichts. Er betrachtete den Polizeibeamten lediglich aufmerksam.
»Und Sie streiten es nicht ab«, sagte Gunnarstranda entgegenkommend.
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