Die Kommissarin und der Tote im Fjord
etwas mehr als zweitausend gefunden. Ein Verbrauch von achthundert war völlig normal, besonders im Dezember, so kurz vor Weihnachten. Vieles deutete darauf hin, dass es ein Unfall war.
»Warum sollte es kein Unfall gewesen sein?«
»Der Bericht von der Gerichtsmedizin ist nicht eindeutig. Formal wissen wir also nicht, woran er gestorben ist. Außerdem war sein Hosenstall nicht offen«, sagte Lena. »Wenn er betrunken war und an die Kaikante trat, um zu pinkeln, dann hätte sein Hosenstall offen sein müssen. Der Gürtel und der oberste Hosenknopf waren ebenfalls geschlossen.«
»Vielleicht hat er es nicht mehr geschafft, sie aufzumachen. Er war festlich gekleidet und kam sicher von einer Weihnachtsfeier, sturzbesoffen, oder?«
»Wie gesagt: Wie wissen noch nicht, ob er Promille im Blut hatte. Deshalb finde ich es zu früh, den Fall abzuschließen.« Sie verfluchte sich selbst für ihr Strebersyndrom. Braves Mädchen, mach deine Hausaufgaben. Untersuche gründlich. Was machte es für einen Sinn, etwas anderes zu glauben, als dass Adelers Tod ein Unfall war? Überhaupt keinen. Abgesehen davon wusste Lena, dass Rindal eigentlich gern Emil Yttergjerde statt ihrer mit dem Fall betraut hätte. Einige in der Abteilung hielten Lena für eine reine Quotenfrau, und deshalb war sie in den Augen einzelner Herren nicht so gut wie die anderen – also diejenigen Angestellten, die einen Schwanz zwischen den Beinen hatten. Und Lena hatte gerade das starke Gefühl, dass Rindal sich für seine Niederlage bei ihrer Anstellung rächen wollte.
Aber Rindal stand nur da und betrachtete sie, stumm und abwartend.
Ich hätte mir den Arzttermin aufschreiben sollen, bevor ich ihn vergesse, dachte Lena. Sie sah auf die Uhr und wollte gerade gehen, als Rindal plötzlich doch den Mund aufmachte.
»Wunderbar«, sagte er abwesend und räusperte sich. »So weit, so gut. Aber was um Himmels willen hat dich dazu veranlasst, in dieser Situation ausgerechnet zu einer Parlamentsabgeordneten nach Hause zu fahren und sie zu bitten, dir Redeund Antwort zu stehen? Bist du da nicht ein bisschen zu weit gegangen?«
Mit wem hat Rindal gesprochen, dachte Lena sofort, korrigierte aber sofort ihre Denkrichtung: Wer hat mit Rindal gesprochen?
»Es war umgekehrt«, sagte sie. »Ich habe einen Tipp bekommen, dass Adeler am Abend vor seinem Tod mit dieser Parlamentsabgeordneten zusammen war. Ich dachte, Vestgård könnte uns vielleicht nützliche Informationen über Adelers letzten Tag geben. Deshalb bin ich zu ihr nach Hause gefahren. Ich weiß natürlich, dass sie eine Person des öffentlichen Lebens ist, und habe deshalb beschlossen, mich diskret an sie zu wenden. Ich habe sie bewusst nach der Arbeit aufgesucht, bin in Zivil und in meinem Privatwagen hingefahren. Ich wollte nur sichergehen, dass sie nichts mit der Sache zu tun hat.« Lena fuhr mit festerer Stimme fort: »Vestgård allerdings hat etwas von Morddrohungen gefaselt. Das brachte mich wiederum in Verlegenheit. Wenn hier im Hause bekannt war, dass Vestgård solche Drohungen bekommen hat, als ich zu ihr fuhr, dann hätte ich davon wissen müssen. Warum hat mir niemand etwas gesagt?«
Rindal stellte sich auf diesem Ohr taub. Er sagte: »Du hättest den Hinweis auf Vestgård erst mit mir besprechen müssen, bevor du losfährst und in ihr Haus eindringst.«
»Ich bin in kein Haus eingedrungen. Es war reine Routine. Ich gehe doch nicht zu meinem Vorgesetzten und bitte um Erlaubnis, bevor ich feststelle, ob jemand mit einem Fall etwas zu tun hat oder nicht?«
»Dieser Jemand war in diesem Falle aber eine Parlamentsabgeordnete. Und deshalb hättest du genau das tun müssen.«
Lena entspannte sich etwas. Auch wenn Rindal noch nicht in der Defensive war, wirkte er doch nicht mehr so aufgebracht. Jetzt dachte er nach. Sie bewegte sich rückwärts auf die Tür zu.
Rindal räusperte sich.
Lena blieb stehen.
»Früher oder später landet der Fall vom Rathauskai weiter hinten auf der Prioritätenliste«, sagte Rindal.
Sie nickte.
»Je eher, desto besser«, fuhr Rindal fort. »Wir haben viel zu tun.«
Lena antwortete nicht.
»Geh jetzt«, sagte Rindal ärgerlich.
Lena verließ das Büro. Auf dem Korridor blieb sie einen Moment stehen und dachte: Was ist da drinnen eigentlich gerade passiert?
4
Die Stimme aus der Gegensprechanlage gehörte einer Frau. Sofort nachdem Gunnarstranda gesagt hatte, dass er von der Polizei war, summte das Türschloss.
Natürlich musste die Dame ganz oben wohnen – in
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