Die Kommissarin und der Tote im Fjord
trotzdem hineinging. Aber jetzt ist es zu spät, es zu bereuen, dachte Lena. Du hast Antworten auf deine Fragen bekommen, auch wenn du nur knapp mit dem Leben davongekommen bist. Jedenfalls musst du die Scherben selbst zusammenkehren. Sie grub in ihrer Hosentasche nach dem Handy und drückte darauf herum. Während sie nach der Nummer von Ingrid Kobro suchte, klingelte es. Sie las die Nummer auf dem Display. Es war Ingrid Kobro.
Lena presste die Stirn an die Fensterscheibe. Natürlich, der Geheimdienst hatte seine Leute überall. Ingrid wusste wahrscheinlich schon, was geschehen war.
In dem Moment tippte ihr ein Mann auf die Schulter. Lena richtete sich auf und sah ihn an. Mütze, Schal, grauer Bart um das Kinn.
»Lena«, sagte der Mann, »geh ran, Ingrid will dich sprechen.« Dann blinzelte er ihr verschwörerisch zu und setzte sich wieder auf seinen Platz.
4
Lena setzte sich gerade hin und wappnete sich, als die Tür geöffnet wurde.
Ingrid Kobro blieb auf der Schwelle stehen.
Keine Umarmung diesmal. Kein schiefes Lächeln unter strahlenden Blicken. Ein paar Sekunden sahen sie sich nur an.
»Weißt du, wie viel wir international investieren, um vertrauenswürdige V-Leute einzuschleusen?«
»Ingrid …«
»Warte! Weißt du, was für ein Risiko diese Leute fahren, wenn sie für uns arbeiten?«
Ingrids Augen blitzten. »Das ist dir scheißegal. Du hast meine Anordnung ignoriert und bist direkt zu der Wohnung gefahren, nachdem wir uns geeinigt hatten, dass du dich aus allem raushältst, was mit Stian Rømer zu tun hat. Jetzt besteht die Gefahr, dass Stian Rømer untertaucht. Höchstwahrscheinlich können wir die ganze Aktion gegen ihn vergessen. Er ist nämlich direkt nach Gardemoen gefahren, hat den Wagen abgegeben und ein Flugzeug nach London genommen.«
London?, dachte Lena apathisch. Warum sollte ein Mannerst versuchen, sie umzubringen, und dann den ersten Flug nach London nehmen?
»Hast du über die Konsequenzen nachgedacht? Nein.« Ingrid Kobro nahm ihr die Antwort ab. »Hat es dich gekümmert, dass anderer Leute Leben und Gesundheit auf dem Spiel stehen? Nein! Nein, du hast einen Wagen gesehen, und was andere dazu sagen oder meinen, war dir vollkommen gleichgültig.«
Lena sah auf. »Warum …«
»Lena«, sagte Ingrid Kobro, und ihr Ton war weiterhin scharf. »Hör mir jetzt zu – und schreib es dir hinter die Ohren. Stian Rømer und alles, was ihn betrifft, fällt in den Aufgabenbereich des Geheimdienstes. Stian Rømer ist unser Fall und geht weder dich noch die restliche Osloer Polizei etwas an. Der Leihwagen wurde zurückgegeben. Und zwar eine Stunde, nachdem du in Gamlebyen in die Straßenbahn gestiegen bist. Der Mann, der den Wagen abgegeben hat, hat einen Flug nach London gebucht und sitzt in diesem Moment im Flieger. Mit anderen Worten: Der Vogel ist ausgeflogen. Der Mann, der dich verfolgt hat, ist außer Landes. Dein Problem hat sich erledigt. Wir sind es, die jetzt Probleme haben, und zwar weil er verschwunden ist. Deshalb muss ich wissen, ob es noch etwas gibt, was du mir nicht erzählt hast.«
»Was sollte das sein?«
»Zum Beispiel der eigentliche Grund dafür, dass du zu seiner Wohnung in Gamlebyen gefahren bist.«
Lena richtete sich auf. »Ich wollte wissen, was er von mir wollte, und jetzt weiß ich, dass er mich tot sehen will.«
Ingrid holte tief Atem. »Könntest du mal einen Moment an etwas anderes denken als an dich selbst?«
»Wie bitte?«
»Ich weiß, dass du an einem Fall arbeitest, in den Aud Helen Vestgård involviert ist. Vestgård ist eine Parlamentsabgeordnete. Ich will wissen, warum du hinter Stian Rømer her telefoniert hast. Steht dieser Leihwagen irgendwie in Verbindung zu Vestgård? Ich hab die Schnauze voll davon, dass du gegen uns arbeitest. Wenn Stian Rømer eine norwegische Parlamentsabgeordnete beschattet, hast du die Pflicht, mich darüber zu informieren.«
Lena versuchte nachzudenken.
»Los, sag es mir!«, sagte Ingrid drängend. »Gibt es eine Verbindung zwischen dem Wagen und Stian Rømer und dem Fall, an dem du gerade arbeitest?«
»Beim ersten Mal, ja«, sagte Lena resigniert. »Ich habe den Wagen das erste Mal gesehen, als ich nach dem Besuch im Haus von Aud Helen Vestgård in Jar weggefahren bin. Der Wagen stand ein Stück entfernt an der Straße. Er fiel mir auf, weil jemand im Wagen saß. Aber der Motor war aus. Es war schweinekalt. Es kam mir komisch vor – dass der Typ einfach im Auto saß und fror. Also hab ich mir das Kennzeichen
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