Die Kommissarin und der Tote im Fjord
notiert. Dann bin ich nach Hause gefahren. Als ich in die Garageneinfahrt einbog, sah ich den Wagen zum zweiten Mal. Im Rückspiegel. Der Wagen fuhr weiter. Aber immerhin habe ich ihn zwei Mal beobachtet. Deswegen habe ich auch beim dritten Mal, heute Nacht, heftiger reagiert. Ich war schon im Bett, bin nochmal aufgestanden, um ein bisschen kaltes Hähnchen zu essen, und entdeckte den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Haus. Der Motor lief, und er stand da mindestens eine halbe Stunde. Der Wagen hatte das gleiche Kennzeichen wie der beim ersten Mal. Wie hätte ich da was anderes denken sollen, als dass der Typ mich verfolgt?«
»Dich verfolgt?« Ingrid seufzte schwer.
Lena reagierte ärgerlich. »Was hätte ich denn sonst denken sollen?«
»Tja – ich werde dir ein bisschen von Stian Rømer erzählen. Er ist ein ehemaliger Soldat, der jetzt ein Unternehmen betreibt, das mit dem ganzen Markt der so genannten InternationalSecurity konkurriert. Dieses Unternehmen verdient sein Geld mit allem Möglichen, vom Schutz der Ölleitungen in Kleinasien oder Schiffsreedern gegen Piraten in der Bucht von Aden bis hin zur bezahlten Leibwache afrikanischer Diktatoren vor möglichen Attentaten. Rømer hat auch hier in Norwegen Leute rekrutiert. Afghanistanveteranen. Aber die Gruppe besteht auch aus traumatisierten Söldnern, früheren Kindersoldaten aus dem Kongo, sogar aus ehemaligen Fremdenlegionären. Diese Gruppe ist schlicht und einfach extrem. Der Geheimdienst, das heißt wir, die Abteilung für Innere Sicherheit und Organisierte Kriminalität, haben viel Zeit und Energie in Rømer investiert, weil seine Gruppe ihre Dienste unter anderem an Piraten vor der Küste Somalias verkauft. Es gibt Beweise dafür, dass Gelder aus dieser Arbeit an die Organisation Al Shabab gehen, die Terroraktionen finanziert und initiiert. Und das ist nur ein Bruchteil der Geschichte von Stian Rømer. Aber im Osloer Polizeipräsidium sitzt Lena Stigersand und entdeckt den Mann rein zufällig – in einem geparkten Wagen vor dem Haus einer Parlamentsabgeordneten. Derselben Parlamentsabgeordneten, die auch eine Morddrohung erhalten hat. Kannst du, Lena, mir jetzt bitte mal erzählen, woher dein Kurzschluss kommt, dass Stian Rømer hinter dir her gewesen sein sollte? Ausgerechnet hinter dir, einer ganz gewöhnlichen Osloer Polizistin?«
Lena richtete sich wieder auf. Wenn es sich so verhielt, dass Stian Rømer es auf Vestgård abgesehen hatte und nicht auf sie, dann hatte sie wirklich großen Mist gebaut. Aber war das wirklich so? Sie versuchte sich zu konzentrieren. Ging den gesamten Ablauf noch einmal durch, Punkt für Punkt. Sie brachte Ingrids Version der Geschichte einfach nicht mit ihren eigenen Erlebnissen überein. Es musste mehr dahinterstecken. Stian Rømer hatte gewusst, wer sie war. Als sie vor seiner Tür stand, war er der Wolf gewesen, der Rotkäppchen die Tür aufmacht. Aber das Frustrierendste an der ganzen Sache war, dass sie beidiesem Gespräch mit Ingrid das Gefühl hatte, mit dem Kopf gegen eine Wand zu laufen. Von Ingrid ging eine Arroganz aus, die ganz klar signalisierte: Halt den Mund. Halt dich raus. Ich weiß es besser. Das hier ist geheim.
»Egal, was für konspirative Geschichten ihr, du und der Geheimdienst, da zusammenkocht«, sagte sie. »Ich bin immer noch überzeugt, dass es der Mann auf mich ganz persönlich abgesehen hatte. Ich war nicht irgendeine zufällige Polizistin in Zivil, die an seiner Tür klingelte. Ich habe es an seinem Blick erkannt. Er wusste, wer ich bin. Ingrid, er kannte mich! Er wollte mich in die Wohnung locken. Warum? Als ich zurückgewichen bin, wollte er mich mit Gewalt hineinziehen. Warum? Hm? Als ich weggerannt bin, lief er hinter mir her. Warum hat er das getan?«
»Wenn du dir seine Autonummer aufgeschrieben hast, als du ihn zum ersten Mal sahst, dann hat er sich vielleicht auch deine Autonummer aufgeschrieben«, sagte Ingrid. »Vielleicht wollte er wissen, wer du bist. Vielleicht ist das genau der Grund, warum du gestern Abend seinen Wagen gesehen hast.«
Lena dachte einen Moment nach. War die Erklärung tatsächlich so einfach? Ihr Kopf war im Zweifel, aber ihr Bauch nicht. »Das kaufe ich dir nicht ab«, antwortete sie. »Ich spüre ganz deutlich, dass es nur ein Zufall war, dass er nicht sofort geschossen hat. Ich bin mir sicher. Als er auf die Straße kam, hat er mich nicht sofort gesehen. Er hat die Waffe in den Gürtel gesteckt, bevor er mich entdeckt hat. Wenn er das nicht getan
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