Die Kompanie der Oger
eine Mal war der eisige Atem der Vergessenheit aufgehalten worden. Dieses eine Mal hatte Ned gewonnen. Er mochte im nächsten Augenblick ersticken, aber das schien jetzt gerade das Problem eines anderen zu sein.
Er hörte, wie über ihm gegraben wurde. Ein Stein wurde beiseite geworfen und ließ das Sonnenlicht auf sein Gesicht scheinen.
»Ist er es?«, fragte einer der Schatten über ihm.
»Das Pendel«, sagte ein anderer. »Schau, wie es brennt.«
Heißer Stein drückte an Neds Stirn. Seine Haut kokelte und er roch zwar Rauch, spürte aber keinen Schmerz.
Sie hoben ihn unsanft aus dem Schutt. Sein Auge stellte sich scharf. Es waren keine Soldaten, sondern schmächtige, lilahäutige, geflügelte Kreaturen mit kleinen Hörnern, die aus ihrer Stirn herausragten.
Dämonen.
Ned war zu müde, sich zu wehren. Er hatte nichts mehr übrig. Was er an letzter Kraft besessen hatte, lag irgendwo unter Kevins Zehn-Tonnen-Leichnam vergraben. Einer der Dämonen warf sich Ned über die Schulter. Sie breiteten die Flügel aus und stiegen in die Luft.
Dämonen erfüllten den Himmel, Dutzende und Aberdutzende dieser fliegenden Monster. Er wand sich zwar, doch es konnte kein Entkommen geben. Und selbst wenn er es schaffte, sich zu befreien, und den Dutzenden von Händen entkam, die versuchten, ihn zu schnappen, würde er dem Tod anheimfallen. So oder so, das Schicksal hatte ihn geschlagen. Wie immer.
Die Oger-Kompanie wuselte unter ihm durcheinander. Regina rief zwar seinen Namen, doch er konnte sie in der Menge nicht ausmachen. Schnell hatten ihn die Dämonen über die Mauern der Kupferzitadelle getragen.
Das Letzte, was er bemerkte, war Knabber-Ned. Der Geier saß auf einem Turm und beobachtete mit kalten, schwarzen Augen und mit beinahe sachlicher Distanziertheit Neds Entführung. Und Ned lachte. Und er lachte weiter, obwohl er nicht einmal sagen konnte, warum.
SIEBENUNDZWANZIG
Weit trugen die Dämonen Ned nicht. Die Kupferzitadelle war gerade über den Horizont verschwunden, als ihr Ziel schon erschien. Es war eine Festung aus schwarzem Stein und glitzernder Jade. Er hätte geschworen, dass die Kupferzitadelle der einzige Vorposten im Umkreis von hundert Meilen war, aber dann sah er, dass diese neue Festung große Steinbeine hatte wie die eines Tausendfüßler-Elefanten. Scharen von Dämonen umkreisten die Eiserne Festung und Ned erwartete, von den hungrigen Monstern in Stücke gerissen zu werden.
Die Dämonenschar teilte sich. Ein Fallgitter wurde geöffnet und Ned in die abgedunkelte Festung gefegt. Er konnte zwar nicht viel sehen, roch aber eine widerliche Mischung aus Urin, Rauch und verfaultem Fleisch. Es stank ekelhaft nach Tod, ein Geruch, den er nur allzu gut kannte.
Seine Entführer warfen ihn unsanft auf den Boden. Andere Hände ergriffen ihn. Krallen bohrten sich in seine Schulter. Blut rann an seinem Arm entlang.
»Ist er es?« Die Stimme war tief und besaß eine Diktion, als habe der Sprecher den Satz tausend Mal vor einem Spiegel geübt, um sicherzugehen, dass jede Abstufung von Lippen und Zunge absolut makellos war. Die Leistung war umso beeindruckender, weil das Monster, das ihn festhielt, absolut nichts besaß, das Lippen auch nur entfernt ähnlich war.
Der Dämon war eine wulstige Abscheulichkeit. Muskeln wanden sich auf seinen Muskeln, gleichzeitig war er aber grotesk fett. Er erinnerte Ned an einen Oger, wenn er auch unendlich viel abstoßender wirkte. Bis auf dickes Fell überall an seinem Körper, das ihm die Illusion von Kleidung gab, und eine schwarze Henkerskapuze, die über seinen relativ winzigen Kopf drapiert war, war er vollkommen nackt. Es war ein Loch hineingeschnitten worden, das seinen lippenlosen Mund mit vielen Zähnen sehen ließ, aber keine Öffnungen für die Augen. Wie er eigentlich sah, konnte Ned nicht ergründen.
»Dürres, kleines Ding, nicht?«, fragte der Henker.
»Wirf ihn einfach in die Zelle«, sagte einer der lilafarbenen Dämonen.
Der Henker zerrte Ned in einen dunkleren Teil des Kerkers. Unheilvolle, grüne Fackeln warfen ein trübes Licht, und die flackernden Schatten hatten qualvoll verzerrte Gesichter. Da waren Dinge in den anderen Zellen. Ned hörte sie weinen, schreien, knurren, atmen. Sanft an ihre Gefängnistüren kratzen. Er grübelte nicht darüber nach, was sie sein könnten. Sie erreichten seine Zelle, einen langen, schmalen Raum, der Boden war mit Knochen übersät, von denen keiner menschlich aussah. Hoch an der Mauer war eine weitere grüne
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