Die Komplizin - Roman
setzte ich mich auf. Ich hatte das Gefühl, als würde mir jemand ein Messer zwischen die Rippen stoßen. Benommen blickte ich mich um. Der ganze Boden war mit Milch und Porzellanscherben bedeckt. Ich stützte mich auf alle viere und brachte mich dann langsam in eine stehende Position. Auf dem Weg ins Bad erschien mir alles um mich herum ein wenig schief. Nachdem ich an der Wanne den Hahn aufgedreht hatte, riskierte ich einen Blick in den kleinen Spiegel über dem Waschbecken. Mein Gesicht wirkte viel kleiner als sonst, als wäre es irgendwie geschrumpft. Das Haar stand mir stachelig vom Kopf ab, und am Hals hatte ich einen großen, bräunlich blauen Bluterguss,
dessen Farbe sich zu verstärken schien, während ich ihn anstarrte. Behutsam strich ich mit den Fingern über die Stelle, die sich geschwollen und seltsam weich anfühlte. Nun würden alle Bescheid wissen.
Ich stieg in die Wanne und blieb über eine Stunde darin liegen, wobei ich alle paar Minuten heißes Wasser nachlaufen ließ, bis ich schließlich schrumpelige Fingerkuppen bekam und der ganze Raum voller Wasserdampf war. Erst als das Wasser lauwarm wurde, kletterte ich wieder heraus. Meine Energie reichte gerade mal aus, um ins Schlafzimmer zu gelangen, mich dort aufs Bett fallen zu lassen und einen Arm über die Augen zu legen.
Als ich es schließlich schaffte, in Shorts und ein T-Shirt zu schlüpfen, war bereits Nachmittag. Ich wickelte mir einen Schal um den Hals. Zwar hatte ich nicht die Absicht, das Haus zu verlassen, verspürte aber auch keine Lust, meinen Bluterguss noch einmal im Spiegel zu sehen. Als ich in die Küche ging, um mir etwas zu essen zu machen, bemerkte ich auf dem Dielenboden ein zusammengelegtes Stück liniertes Papier. Offenbar war es durch den Türschlitz geschoben worden. Ich hob den Zettel auf und faltete ihn auseinander. »Bonnie«, stand da in hastig hingeworfenen, krakeligen Buchstaben, die mit einem stumpfen Bleistift zu Papier gebracht worden waren. »Ich würde dir gern ein paar Dinge erzählen, die ich dir schon längst hätte sagen sollen. Bitte lass uns reden. Bitte! Es tut mir so leid. So schrecklich leid. H.«
Ich knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Mülleimer. Dann holte ich ihn wieder heraus, strich ihn glatt und starrte auf die Worte hinunter, bis sie mir vor den Augen verschwammen.
Das Telefon ließ mich zusammenfahren. Rasch stopfte ich Haydens Zettel in meine Hosentasche, als könnte mich jemand dabei beobachten. Es war Guy.
»Geht es dir nicht gut? Du klingst erkältet. Verlierst du die Stimme?«
»Ja, wahrscheinlich.«
»Ich wollte nur sagen, dass ich ein bisschen später zur Probe komme.«
»Zur Probe?«
»Ich bin aufgehalten worden. Ich komme, so schnell ich kann.«
»Ich glaube nicht, dass ich das heute schaffe, Guy.«
»Aber die Probe beginnt doch schon in einer halben Stunde. Bei dir.«
Er hatte recht. Verzweifelt blickte ich mich um. Es sah aus, als hätten Einbrecher auf einer Baustelle eine Bombe gezündet. Und ich saß nun mitten in den Trümmern.
»Bei mir herrscht ziemliches Chaos«, krächzte ich.
»Das macht doch nichts«, erwiderte Guy fröhlich. Er selbst lebte in einem makellos sauberen Haus, wo alles seinen festen Platz hatte. Manchmal kam es mir so vor, als würde er es richtig genießen, wenn bei anderen Leute Chaos herrschte. Benommen beugte ich mich hinunter und hob ein Stück der zerbrochenen Tasse auf. »Jedenfalls bist du da und lässt mich rein, oder?«
»Ja, ich bin da.«
Sobald ich aufgelegt hatte, begann ich mit den Aufräumungsarbeiten in der Küche, indem ich mit einem Lappen, den ich immer wieder über dem Waschbecken auswringen musste, die Milch aufwischte und gleichzeitig sämtliche Scherben aufzusammeln versuchte. Man glaubt gar nicht, welche Entfernungen Porzellan in zerbrochenem Zustand überwinden kann. Bald bluteten zusätzlich zu meiner Wade auch meine Füße. Dann wurde mir plötzlich bewusst, dass ich mich auf die falsche Aufgabe konzentrierte: Der schlimme Zustand der Wohnung spielte keine so große Rolle, mein schlimmer Zustand dagegen schon. Niemand durfte mich so sehen.
Ich eilte ins Schlafzimmer. Die Shorts konnte ich anlassen, aber als Oberteil brauchte ich etwas Hochgeschlossenes. Ich zerrte Berge von Klamotten aus diversen Kartons, bis ich schließlich auf eine viktorianisch angehauchte Bluse stieß, die ich vor Jahren mal in einem Secondhandladen erstanden hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, sie jemals getragen zu
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