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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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Shuttlebusses zusteuern. Der Parkplatz war voll, und ich musste erst ein paar Runden drehen, bis ich eine Lücke fand. Es war ein eigenartiges Gefühl, plötzlich allein im Wagen zu sitzen. Mein Körper fühlte sich seltsam fremd an, als hätte ich keine Knochen mehr, dafür aber ein übergroßes, breiweiches Herz. Als ich schließlich rückwärts einparken wollte, begann ich derart zu zittern, dass ich anhalten und ein paarmal tief durchatmen musste. Was, wenn ich einen anderen Wagen rammte und dadurch eine Alarmanlage auslöste?
    Ganz langsam stieß ich in die Lücke, schaltete den Motor aus, zog die Handbremse an und stieg aus. Ein blasser Lichtschimmer am Horizont verriet mir, dass es schon fast Morgen war. In der Ferne konnte ich schemenhaft Bäume und Häuser erkennen. Mir war plötzlich kalt. Schaudernd nahm ich die Sonnenbrille ab und legte sie auf den Beifahrersitz. Den Schal schlang ich mir wieder um den Hals, damit man den Bluterguss nicht sah. Ich wartete, bis Sonia mit dem ersten Shuttlebus
weggefahren war. Erst als der nächste Bus eintraf, verließ ich den Wagen und ging zur Haltestelle.
    Ich stieg hinten ein, möglichst weit weg vom Fahrer, weil ich nicht wollte, dass er mich zu genau unter die Lupe nahm. Anfangs fuhr außer mir nur noch ein Mann mittleren Alters mit. Er trug einen Anzug und wirkte im Gesicht ein wenig aufgedunsen, wahrscheinlich vor Müdigkeit. Nach ein paar Minuten hielt der Bus wieder, und eine fünfköpfige, sich lautstark zankende Familie mit riesigen Rollkoffern stieg zu. Mir wurde unangenehm bewusst, dass ich ganz und gar nicht so aussah, als würde ich in den Urlaub fliegen oder zu einem Geschäftstermin. Ich war ohne Gepäck, trug zu leichte Kleidung und hatte nicht einmal eine Jacke dabei. Bestimmt fiel ich jedem gleich auf und machte einen höchst verdächtigen Eindruck. Den Blick starr geradeaus gerichtet, schob ich die Hände in die Taschen, um möglichst cool zu wirken. In dem Moment hätte ich lieber keine so kurze Igelfrisur und keinen Stecker in der Nase gehabt und etwas anderes als eine zerrissene, unten klatschnasse Jeans und ein feuchtes T-Shirt getragen.
    Als wir das Terminal erreichten, ließ ich erst einmal alle anderen aussteigen. Ich war mittlerweile unendlich müde und kam mir vor wie unter Wasser, als ich in die wuselnde Menschenmenge eintauchte. Das alles passierte einer anderen Person, einer Frau, die nicht ich war und die auch nicht getan hatte, was ich in der vergangenen Nacht getan hatte.
    Ich wartete noch ein paar Minuten, ehe ich schließlich auf die kleine Schlange am Taxistand zusteuerte. Es standen noch nicht viele Leute an  – die ersten Nachtflüge trafen gerade erst ein  –, und Sonia war die Dritte in der Reihe. Als ich mich neben sie stellte, nickte sie mir kurz zu.
    »London Mitte«, sagte ich beim Einsteigen zu unserem Taxifahrer. Ich nannte ihm Sonias Adresse.
    »Wir können zuerst dich rauslassen und anschließend zu mir fahren«, erklärte ich ihr. Dann beugte ich mich vor und
fragte durch die Trennwand: »Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich kurz in meine Wohnung springe, um meine Kreditkarte zu holen, und wir dann sofort weiter zum Automaten fahren, damit ich Geld abheben kann?«
    »Solange ich am Ende meine Kohle bekomme«, antwortete er achselzuckend.
    »Klar.« Ich warf einen Blick auf den angezeigten Preis, der sich alle paar Sekunden mit einem Klicken erhöhte. Obwohl wir den Flughafen noch gar nicht verlassen hatten, schuldete ich dem Mann bereits fünf Pfund sechzig.
    »Wie kommt es, dass Sie ohne Karte in den Urlaub gefahren sind?«
    »Wir waren nicht im Urlaub«, entgegnete ich, »wir haben uns bloß mit jemandem getroffen.«
    Ich formulierte meine Antwort absichtlich vage. Und möglichst uninteressant. Ich wollte nicht, dass er sich an uns erinnerte oder irgendwie misstrauisch wurde. Erschöpft ließ ich mich zurücksinken. Sonia hatte die Hände im Schoß verschränkt und die Augen geschlossen, aber ich wusste, dass sie nicht schlief. Ich setzte zu einer Bemerkung an, klappte den Mund jedoch gleich wieder zu. Was gab es schon zu sagen? Die Nacht lag hinter uns. Ich schloss also ebenfalls die Augen. Als ich sie wieder öffnete, bogen wir gerade in Sonias Straße ein.
    Fünfundvierzig Minuten später hatte ich dem Fahrer hundert Pfund bezahlt und befand mich in meiner scheußlichen kleinen Wohnung  – vor Müdigkeit völlig erschlagen und gleichzeitig zitternd vor Angst.

Davor
    Wir stießen miteinander an. Dabei

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