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Die Komplizin - Roman

Die Komplizin - Roman

Titel: Die Komplizin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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passierte. Dass ich mich vergaß. Was heißt das eigentlich  – sich zu vergessen oder zu verlieren? Ich fühlte mich tatsächlich verloren, mitgerissen von einer Welle der Begierde, die mich völlig überraschend traf, als hätte mir jemand in den Magen geboxt, so dass ich keine Luft mehr bekam und mit einer Art Schluchzen neben dem Sofa auf die Knie sank. Ich könnte behaupten, dass ich das gar nicht wollte und ich in dem Moment gar nicht mehr ich selbst war. Dass es einfach so passierte. In Wirklichkeit aber war ich diejenige, die sein Gesicht, das Gesicht eines Fremden, zwischen beide Hände nahm und eine Ewigkeit festhielt  – so lange, dass ich richtig spürte, wie die Zeit verging. Ich hörte draußen Autos vorbeifahren und Leute miteinander reden. Dann lagen wir uns endlich in den Armen. Er küsste mich, und ich küsste ihn. Ich wusste, dass ich nur deswegen
vorbeigekommen war und er schon auf mich gewartet hatte.
    »Nein«, stöhnte ich, während er mich aufs Sofa hob, obwohl mir bereits in dem Moment bewusst war, dass ich das nicht ernst meinte, denn als er daraufhin in fragendem Ton meinen Namen flüsterte  – »Bonnie?«  –, da sagte ich: »Ja. Ja.«

Danach
    Ich lag im Bett und starrte auf das Licht, das durch den Vorhang fiel und seine Streifen auf den Teppich warf. Wie ging es nun weiter? Ich hatte keinen konkreten Plan. Es gab nichts mehr zu tun  – außer vielleicht, alles immer wieder durchzudenken und zu überlegen, wo wir einen Fehler gemacht hatten. Denn einen Fehler macht man immer. Konnten wir wirklich sicher sein, dass uns niemand gesehen hatte? Dass wir nicht doch irgendwelche Spuren hinterlassen hatten? War es der richtige Ort gewesen, um eine Leiche zu beseitigen? Wie lange würde es dauern, bis man den Wagen fand? Weder Sonia noch ich hatten auch nur den blassesten Schimmer, wie das Prozedere auf so einem Langzeitparkplatz war. In der Regel flogen die Leute für zwei Wochen weg, vielleicht auch mal für drei oder vier. Der Parkplatz leerte und füllte sich also ununterbrochen, dort herrschte sozusagen ein fortwährender Gezeitenwechsel. Wie verfuhr die Verwaltung, um herrenlose Wagen aufzuspüren? Konnte es sein, dass wir etwas im Auto vergessen hatten? War es ratsam, nach ein, zwei Wochen noch einmal hinauszufahren und den Wagen auf einem anderen Teil des Parkplatzes abzustellen? Bei der Gelegenheit könnte ich dann auch nachsehen, ob wir etwas zurückgelassen hatten. Oder wäre das genau die falsche Vorgehensweise? Man liest ja immer wieder, dass Verbrecher an den Tatort zurückkehren. Das ist fast schon ein Klischee. Liegt es an einer gewissen
Faszination, die einen wie ein Magnet dorthin zurückzieht? Oder hat es einfach nur mit jenem nagenden Gefühl zu tun, das einen auch zwingt, immer wieder nach Hause zurückzueilen und nachzusehen, ob man nicht doch vergessen hat, das Gas auszuschalten oder das Fenster zu schließen? Mir war jedenfalls klar, dass ich an irgendeiner Form von Wahnsinn litt, weil ich mich ständig fragte, was man alles übersehen haben könnte. Wo klafften die Lücken? Welche Dinge nahm ich nicht wahr, weil sie knapp außerhalb meines Gesichtsfeldes lagen? Und was war mit meinen Sachen? Wo war mein Ranzen hingekommen?
    Eines aber stand fest: Was ich gerade durchmachte, war noch das geringste Übel. Ich konnte froh sein, wenn nichts weiter passierte und nichts gefunden wurde, so dass ich lediglich dazu verdammt war, mir den Rest meines Lebens das Gehirn zu zermartern, welche Fehler mir wohl unterlaufen waren, und ansonsten möglichst zu verdrängen, was ich Schreckliches getan hatte.

Davor
    Ich fühlte mich schwach und wackelig, als hätte ich einen Tag lang nichts gegessen. Als ich ins Bad ging, schienen die blanken Holzdielen unter meinen nackten Füßen zu schwanken. Aus dem Duschkopf kam kaum mehr als ein Rinnsal. Alles fühlte sich ein wenig schief und seltsam an  – so ähnlich wie bei der Ankunft in einer fremden Stadt, wenn man das Leben plötzlich auf eine Weise wahrnimmt, wie man es zu Hause sonst nie tut. Ich richtete den Wasserstrahl auf mein Gesicht, um mir das Haar nicht nass zu machen, gab dieses Unterfangen aber schnell wieder auf. Frustriert griff ich nach dem Shampoo, das auf dem Rand der Wanne stand, und wusch mir damit den Kopf. Mein Körper fühlte sich wund und zerschlagen an, aber
was empfand ich ? Was spielte sich in meinem Kopf ab? Und was in meinem Herzen? Ich presste eine Hand an die Brust und schloss die Augen. Was hatte

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