Die Komplizin - Roman
Ungläubig starrte ich sie an.
»Wie lange hast du nun schon nichts mehr von ihm gehört?«
»Erst eine Woche«, antwortete ich. Dann begriff ich trotz meines vernebelten Gehirns, was Sonia gerade tat: Natürlich hätte ich unter normalen Umständen besorgt reagieren müssen. Dass ich so ruhig blieb, wirkte auf die anderen zwangsläufig befremdend. »Also vielleicht doch schon ganz schön lang«, fügte ich rasch hinzu.
»Zumindest für Leute, die ihre Verantwortung ernst nehmen!« Amos klang ziemlich laut und aufbrausend. Sonia legte ihm beschwichtigend eine Hand auf die Schulter, woraufhin er sich sofort wieder beruhigte. Dankbar lächelte er sie an, und sie erwiderte sein Lächeln. In dem Moment begriff ich, dass die beiden ein Liebespaar waren oder zumindest bald eines sein würden. Gleichzeitig wurde mir klar, dass sie einander guttaten. Auf jeden Fall tat Sonia Amos gut. Sie übte eine beruhigende Wirkung auf ihn aus und schien mit seiner reizbaren Art bestens klarzukommen. Sie würde sich um ihn kümmern – nicht nur, weil sie das besonders gut konnte, sondern auch, weil sie es einfach gerne tat. Ich hatte Amos gegenüber nicht so viel Geduld besessen, und bei meiner Affäre mit Hayden hatten Vernunft und Geduld erst recht keine Rolle gespielt. Ganz im Gegenteil, wir waren gemeinsam auf eine Wand zugerast. Trotzdem musste ich mich an den Gedanken erst mal gewöhnen: mein Expartner, mit dem ich eigentlich bis in alle Ewigkeit zusammenbleiben wollte – soweit sich jemand wie ich das überhaupt vorstellen konnte –, und meine engste Freundin. Die mir nun noch näherstand denn
je, weil sie zusätzlich meine Komplizin war, durch unsere gemeinsame, geheime Schuld an mich gebunden. Mich durchzuckte ein schrecklicher Gedanke: Hat sie es ihm erzählt? Als könnte sie meine Angst spüren, wandte Sonia den Kopf in meine Richtung und bedachte mich mit einem raschen, verschwörerischen Lächeln.
»Wo auch immer Hayden abgeblieben ist, wir sollten uns besser nicht darauf verlassen, dass er zurückkommt«, erklärte ich. »Wir schaffen das auch ohne ihn. Joakim kann den Gitarrenpart übernehmen, und wir anderen füllen die Lücken.«
»Nein!«, widersprach Joakim fast panisch. Sein schmales Gesicht war vor Aufregung ganz rot geworden. »Wir können nicht einfach ohne ihn weitermachen, als wäre das keine große Sache!«
»Jo…«, begann Guy in beschwichtigendem Ton, als spräche er mit einem kleinen Kind. Zornig fuhr Joakim herum.
»Du bist froh, dass er weg ist, nicht wahr? Er hat dich in deine Schranken verwiesen und mich dazu gebracht, mein Leben auf eine Weise infrage zu stellen, wie du es nicht wolltest. Du möchtest gar nicht, dass er zurückkommt, stimmt’s?«
»Sei nicht kindisch«, antwortete Guy, machte dabei aber einen sehr bestürzten Eindruck. Ein unangenehmes Schweigen senkte sich über den Raum.
»Lasst es uns doch mal mit dem zweiten Song probieren.« Ich versuchte, einen möglichst munteren Ton anzuschlagen.
»Joakim hat recht, wir sollten etwas unternehmen«, erwiderte Guy, sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben.
»Was ist deine Meinung?«, wandte Sonia sich an Neal, der in ziemlich gebeugter Haltung auf einem Stuhl saß und sich eine Wange hielt, als hätte er Zahnschmerzen.
»Wie Bonnie schon gesagt hat: Wir sollten nicht mit seiner Rückkehr rechnen, sondern ohne ihn weitermachen.«
»Schwachsinn!«, widersprach Joakim. »Was für ein gottverdammter Schwachsinn!«
»Joakim!«
»Vermutlich hat er sich einfach aus dem Staub gemacht«, fuhr Neal mit so leiser, matter Stimme fort, dass wir uns anstrengen mussten, ihn zu verstehen. »Das passt zu ihm. Er sucht sich Leute aus, benutzt sie, bis er sie satt hat, und lässt sie dann wieder fallen. Am besten, wir ziehen das jetzt durch und bringen die ganze Sache hinter uns. Hayden ist weg, Schnee von gestern. Einverstanden?«
»Du bist heute nicht besonders gut drauf«, stellte Amos kampflustig fest. »Was ist los?«
»Den zweiten Song, hast du gemeint, Bonnie?«, warf Sonia ein.
»Wir sollten in seiner Wohnung nachsehen.« Joakim ließ nicht locker.
»Er hat recht«, gab Sonia sich geschlagen.
»Ja«, zwang ich mich zu sagen, obwohl mein Instinkt sich heftig dagegen wehrte, »womöglich ist ihm ja wirklich etwas zugestoßen.«
»Wo wohnt er denn überhaupt? Ich dachte, er übernachtet zurzeit bloß bei Freunden auf dem Boden.«
»Da kann uns Bonnie weiterhelfen«, erklärte Amos bereitwillig, »schließlich hat sie das Ganze
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