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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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wir Europäer abgeben, sind nicht dazu angetan zu überzeugen. Sie wissen sicherlich, dass es Menschen gibt, die denken, die Missionierung schade nur, ziehe Heuchler und Geldgierige an, raube den Konvertiten ihre alte Kultur und gebe ihnen keine neue dafür. Zumindest keine, die sie brauchen können. Damit will ich sagen, dass sich viele Missionare keineswegs nur auf die Religion beschränken, sondern auch kulturelle Missionierung betreiben wollen. Dabei stehen wir aber hier in China nicht einer schwächeren, unterentwickelten, sondern einer viel stärkeren, differenzierten Kultur gegenüber.
    Es hat sich ein doppelter Kampf entsponnen: Einmal versuchen manche Missionare, die chinesischen Götzen auszutreiben und durch ihre Vorstellung von dem einzig wahren, gnädigen Gott zu ersetzen. Damit wollen sie die armen Seelen aus dem Pfuhl von Verderbnis und Hölle retten. Jede andere Sicht halten sie für verwerflich. Sie wettern gegen die gütigen Heiler und Helfer des religiösen Kosmos in China, zum Beispiel gegen die auf alles Menschenleid barmherzig herabschauende Guanyin. Sie und alle anderen sollen nun plötzlich Teufel sein?
    Wissen Sie, es gibt sehr ungebildete Menschen unter den Missionaren gewisser Erweckungssekten. Diese haben mit ihrer Darstellung der Hölle viel Schaden angerichtet. Sie waren einfach unglaubwürdig. In China kennt man Höllen, gegen die alles, was westliche Fantasie sich an Schrecken ausdenken könnte, nur ein schwacher Abglanz ist. In einem ist die christliche Hölle allerdings der chinesischen an Bosheit überlegen – in Beziehung auf die Ewigkeit. Denn auch die furchtbarsten chinesischen Höllenqualen haben einmal ein Ende. Eine neue Geburt im Kreislauf des Lebens bietet neue Chancen der Erlösung.
    Außerdem haben manche Missionare dann auch noch versucht, Konfuzius und seine Lehren zu diskreditieren. Damit wurde das Fundament der chinesischen Ethik, die Kindesfurcht, angetastet und das Höchste und Heiligste des chinesischen Kosmos, nämlich die Verehrung der Ahnen, als Götzendienst gebrandmarkt.»
    «Also ist es eigentlich kein Wunder, dass es immer wieder Konflikte gab. Nicht nur zwischen Chinesen und Europäern, sondern auch zwischen den Konvertiten und ihren Landsleuten. Alles, was den Menschen von altersher wichtig und teuer war, sollte vernichtet werden; sehe ich das richtig?»
    «Ja, durchaus. Natürlich gibt es auch besonnene Männer unter den Missionaren, einige sind meine Freunde. Wir wollen nicht alle über einen Kamm scheren. Aber da ist noch etwas, das die Menschen entschieden stört: Es ist der Graben, der in der christlichen Religion bei vielen Religionsverkündern zwischen Theorie und Praxis klafft. Lassen Sie mich eine Geschichte erzählen. Ach, wollen Sie mich nicht zum Bahnhof begleiten?» Richard Wilhelm grüßte einen Passanten. Er schien fast jeden in Tsingtau zu kennen, egal ob Chinese, Europäer oder Amerikaner. Der Mann sah jedenfalls so aus, als käme er aus den USA. Die Amerikaner hatten Tsingtau schon seit einiger Zeit als Urlaubsort für sich entdeckt.
    «Gerne. Momentan vermisst mich niemand.»
    «Sie sind offenbar ein neugieriger junger Mann, der nicht gleich Urteile fällt, sondern sich alles erst einmal anschaut und sich dann seine Meinung bildet. Tang spricht sehr freundlich von Ihnen.»
    «Ohne ihn und dem, was er mir von seinem Land erzählt, wäre ich hier verloren. Natürlich ist mir klar, dass ich nicht aufholen kann, was ein junger Chinese über Jahre lernt. Aber ich tue, was ich kann.»
    Wilhelm schmunzelte. «Sie sind ja auch nicht dazu nach China gekommen, sondern als Soldat. Um das Vaterland am Gelben Meer zu verteidigen. Entschuldigen Sie die Nachfrage: Was hat Sie eigentlich bewogen, sich so eingehend mit der chinesischen Kultur und Lebensweise zu beschäftigen?»
    «Wahrscheinlich bin ich wirklich neugierig. Und dann hatte ich noch einen ganz egoistischen Grund.»
    «Und welchen?»
    «Heimweh. Ich fühlte mich einsam und dachte, wenn ich mehr weiß, dann gehöre ich vielleicht irgendwie ein wenig dazu. Niemand kann doch im luftleeren Raum leben.»
    «Den meisten Soldaten genügt die eigene Kompanie, die Marine als Gemeinschaft völlig.»
    «Nun, vielleicht hat es bei mir auch etwas mit der Musik zu tun. Ich bin kein besonders guter Musiker, auch wenn das hier alle zu glauben scheinen. Doch ich habe Momente erlebt, in denen mich ein altes chinesisches Lied tief berührt hat. Ich glaube, einigen Chinesen geht das umgekehrt mit unseren

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