Die Konkubine
erkennen. Der Boden war aus gestampftem Lehm, durch das flach abgerundete Dach aus Lehm und Kalk tropfte es. Die Dachkonstruktion lag offen da, eine Zimmerdecke gab es nicht. Nachdem sich seine Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten, entdeckte Konrad an der einen Seite des Zimmers den Herd. Darüber hing ein farbiges Bild des Herdgottes, und auf dem Herd stand ein Topf. Der beißende Rauch, der aufstieg, suchte sich selbst seinen Abzug. Der Rest waberte durch die offene Türe nach draußen. An der Nordwand gab es außerdem noch ein breites, niedriges Fenster. Es wurde im Winter zugemauert, wie Konrad vermutete.
In der Nähe des Herdes stand eine gemauerte Schlafbank. Konrad hatte solche Kangs schon öfter gesehen. Die Konstruktion war praktisch. Im Winter wurde die Abzugswärme des Herdes hindurchgeleitet, so dass die Schläfer es warm hatten. Aber wehe, die Ummauerung des Kang war undicht. Dann mussten sich die Menschen den kleinen Komfort durch viel beißenden Rauch erkaufen. Allerdings vertrieb dieser dann wenigstens das Ungeziefer. Die Vorhänge, die um das Bett herum angebracht worden waren, standen halb offen. So konnte er die Steppdecken sehen, die darauf lagen, und die Nackenstützen, die als Kopfkissen dienten. Außerdem waren beim Kang noch einige Küchengeräte untergebracht.
Die einzigen weiteren Möbel, die Konrad im Halbdunkel ausmachen konnte, waren ein einfacher Tisch an der Wand und vier Hocker sowie am Fußende der Schlafbank ein kleines Schränkchen, in dem wohl die Kleider aufbewahrt wurden. Am Fenster stand noch ein weiterer Tisch mit zwei Stühlen, darauf lagen ein Tuschestein, Pinsel und Papier. Offenbar war er hier in ein Haus geraten, in dem zumindest ein Bewohner des Schreibens mächtig war. In der linken und in der rechten Seite des Raumes hingen Vorhänge und verdeckten die Türöffnungen. Es gab wohl noch zwei weitere Zimmer.
Eine Frauenhand schob einen der Vorhänge zur Seite. Mulan. Sie war noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Und wirkte noch zerbrechlicher. Sie nickte Wang Zhen zu, der wortlos verschwand. Sie wirkte, als wolle sie fortlaufen, wenn er nur eine falsche Bewegung machte. Sie blickte zu Boden, dann hob sie den Kopf. «Wang Zhen hat falsch gehandelt. Ge Kangle hat mit dieser Sache nichts zu tun. Er sollte nicht kommen. Aber nun ist er da.»
Konrad war verblüfft, wie gut sie Deutsch sprach. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Der Anblick der Frau, die seine Gedanken begleitete, mit deren Bild er aufwachte und schlafen ging, machte ihn stumm. Mit kleinen Gesten bat sie ihn, sich zu setzen. Er schob einen der Schemel ein Stück zurück und ließ sich darauf nieder.
Mulan rang ebenfalls nach Worten. So saßen sie für einige Momente einfach nur beieinander. Eine Frau, die auf ihre Hände schaute, und ein Mann, der diese Frau ansah. In Konrad prägte sich dieses Bild tief ein: Mulan, ihre schmalen Hände, die hohen Wangenknochen, diese zierliche Gestalt, der gerade Rücken, die unvergleichliche Würde, die sie ausstrahlte und hinter der er doch tiefe Verletzungen spürte. Dazu kam das Halbdunkel im Raum, das der Szene eine gewisse Intimität verlieh, sie beide einhüllte und abschirmte gegen alles, was von draußen kommen und sie wieder voneinander trennen könnte. Es war eine kurze Illusion, ein kurzer Moment des fast vollkommenen Glücks.
Mulan durchbrach den Bann. «Ich danke Herrn Ge trotzdem für sein Kommen.»
«Ich wäre auch vom Ende der Welt gekommen», hätte er am liebsten gesagt. Doch er beherrschte sich. «Was ist mit Ihnen?»
«Diese Frau ist aus dem Haus des Herrn Liu geflohen. Er hat falsch gehandelt. Diese Frau musste gehen, sonst wäre sehr Schlimmes geschehen.»
«Bitte, Frau Mulan, was ist geschehen?»
Sie senkte den Kopf. «Geht nicht, darüber sprechen. Wäre Verrat. Aber große Gefahr für mein Baby und mich. Muss fort, schnell. Sonst Herr Wang auch in großer Gefahr.»
«Bitte, sprechen Sie doch! Wenn ich nicht weiß, was geschehen ist, wie kann ich dann helfen?»
«Gibt es Möglichkeit, diese Frau und ihren Sohn fortzubringen?»
Er schaute sie hilflos an und hasste sich für die Antwort, die er ihr geben musste. Ausgerechnet jetzt, bei dieser Frau, war er machtlos. «Ich weiß nicht, wohin. Haben Sie denn keine Familie?»
Sie schüttelte den Kopf. «Nein, alle tot.»
«Und Ihre Freundin?»
«Chen Meili? Wenn sie hilft, sie ist auch in Todesgefahr. Manche Menschen töten, wenn Angst, dass jemand ihre Geheimnisse verrät.
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