Die Konkubine
Waffe nicht mehr zu gebrauchen. So griff er sich hastig einen Stein am Wegesrand, der in seine rechte Faust passte. Mit seiner Linken schwang er einen Prügel, den er ebenfalls aufgelesen hatte. Langsam schwanden ihm jedoch die Kräfte.
Da hörte er Reiter heranpreschen. Ihm sank das Herz. Wenn die Räuber Verstärkung bekamen, bedeutete das sein Todesurteil. Dann stieß er einen Jubelruf aus – es waren seine Leute. Einige Angreifer hatten das inzwischen bemerkt und zögerten kurz. Seine Retter stießen den Mongolenponys die Sporen in die Flanken und erhoben ein wildes Geschrei. An der Spitze des sechsköpfigen Trupps galoppierte jener Mann, der ihn vor noch nicht allzu langer Zeit für sein Spiel gelobt hatte. «Haltet durch, wir kommen!»
Die Banditen erkannten, dass sie keine Chance mehr hatten, und verschwanden wie Schatten wieder zwischen Steinen und Gebüsch. Konrad sank keuchend zu Boden. Seine Beine knickten einfach unter ihm weg. Er hatte das Gefühl, sich nie wieder bewegen zu können, jeder Zentimeter seines Körpers schmerzte. Einen Meter weiter sah er seine Seemannsmütze liegen. Der breite Kragen der Matrosenuniform, in die man ihn für das Konzert gesteckt hatte, hing nur noch an ein paar Fäden. In der Sänfte regte sich etwas. Eine alte Frau stieg aus und schimpfte hinter den Räubern her. So, wie sich das anhörte, waren es ziemlich unflätige Ausdrücke. Es schien aber noch jemand in der Sänfte zu sein, er hörte ein leises Schluchzen.
Der kleine Mann mit dem sorgsam gezwirbelten Schnauzer fluchte ebenfalls. Wie hieß er noch? Ach ja, Fauth. Konrad beobachtete, wie dieser hinüber zur Sänfte ging, die Vorhänge beiseiteschob, noch einmal schimpfte und die Hand ausstreckte. Eine schmale Frauenhand erschien, dann zwei winzige Füße in Satinschuhen.
Langsam kam er wieder zu Atem und wartete auf das Auftauchen der Frau, zu der diese Hand gehörte. Anfangs wurde sie von Fauth verdeckt, er konnte sie nicht richtig sehen. Er hörte nur, dass sie nach wie vor leise schluchzte, aber offenbar versuchte, es zu unterdrücken. Vielleicht fürchtete sie sich ja ebenso vor den ausländischen Soldaten wie vor den Banditen. Da trat Fauth etwas zur Seite, und Konrad sah im Licht des Halbmondes ihr Gesicht. Es war die Chinesin aus dem Tempel.
Er bemerkte, dass sie zitterte und schwankte, aber auch, wie sehr sie um Haltung rang. Fauth streckte ihr erneut die Hand hin. Sie bemühte sich um ein Lächeln, übersah die angebotene Hilfe jedoch. Die Alte unterbrach ihre Schimpftirade und eilte herbei, um sie zu stützen.
Inzwischen waren auch ihre Begleiter wieder zurückgekehrt. Fauth winkte einem Mann aus seinem Trupp zu, der sich zu ihnen gesellte und der Geretteten auf Chinesisch einige Fragen stellte, offenbar der Dolmetscher. Sie antwortete leise. Dann stieg sie in die Sänfte. Wieder übersah sie die angebotene Hand des Deutschen. Die Träger nahmen die Stangen auf die Schultern, und der Zug entfernte sich. Konrad schaute ihnen nach.
Fauth wandte sich zu ihm um. «Kamerad, gut gemacht. Ohne Sie wäre die Frau vielleicht den Banditen zum Opfer gefallen. Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie mit ihr angestellt hätten. Oh, jetzt erkenne ich Sie. Sie sind doch der Trompeter von vorhin. Das ist übrigens eines meiner Lieblingslieder. Begabter Mann.»
Konrad sprang auf und nahm Haltung an. Jede einzelne Muskelfaser tat ihm weh, er hätte aufschreien mögen. «Melde gehorsamst, Konrad Gabriel, Gefreiter der Ostasiatischen fahrenden Batterie Tientsin, derzeit abgeordnet zur Kapelle des III. Seebataillons Tsingtau.»
«Stehen Sie bequem. Können Sie reiten?»
Konrad nickte. «Einigermaßen. Ich war bei meiner Garnison in der Heimat, der Feldartillerie in Danzig, zusammen mit einigen Kameraden zum Stalldienst befohlen.»
«Noch eine Fähigkeit also. Und, verletzt?»
Er schüttelte den Kopf: «Nur Prellungen und Schrunden, ich glaube, nichts Ernstes.»
Fauth zwinkerte ihm anerkennend zu. «Einen deutschen Seemann kann so schnell nichts erschüttern, was?»
«Ich bin eigentlich nicht bei der Marine.»
«Was nicht ist, kann ja noch werden», entgegnete der andere. «Bringt dem Gefreiten Gabriel ein Pony! Er kann kaum noch stehen.»
Der Gefreite Gabriel konnte auch kaum sitzen. Doch er biss die Zähne zusammen. Eine Frage hatte er allerdings: «Wer ist diese Frau, kennen Sie sie?»
Fauth nickte. «Gehört zum Haushalt eines Geschäftsmanns namens Liu Guangsan aus Tapautau, dem Viertel
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