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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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essen wir zum Andenken von Qu Yuan bis heute in jedem Jahr Zongzi und trinken Xionghuang-Wein .»
    «Was mich daran erinnert, dass ich immer noch Hunger habe. Komm, da drüben gibt es Zongzi. Lass uns welche kaufen! Ich habe gesehen, dass sie auch süße mit Dattelfüllung anbieten.»
    «Ich mag lieber die mit Reis, Ei und Bohnenfüllung, nicht in Schilf, sondern in Bambusblätter gewickelt», sagte Tang kurz darauf mit vollen Backen.
    Konrad antwortete nicht. Er hatte Liu Guangsan und seine Familie entdeckt. Auch die Frau, die er gerettet hatte, war dabei. Sie sah bleich aus und unglücklich, hatte die Lider niedergeschlagen. Mulan. Ja, so hieß sie. Sie schien sich für nichts von dem zu interessieren, was um sie herum vorging. Er fragte sich, was mit ihr geschehen war. Sie wirkte so – anders, so durchsichtig. Nun, er kannte sie ja nicht, vielleicht war sie immer so. Neben ihr ging eine weitere junge Chinesin. Diese bewegte sich graziös, war wunderschön. Mit lebhaften Handbewegungen redete sie auf Mulan ein, lachte fröhlich und bekam ein scheues Lächeln zurück. Tang Huimin grüßte zu der Gruppe hinüber, Liu Guangsan antwortete mit einem würdevollen Nicken.
    «Du kennst diesen Liu?»
    Tang nickte. «Ja, seit ich ein kleiner Junge bin. Er ist ein Geschäftspartner meines Vaters.»
    Konrad zögerte. Er wusste, so etwas fragte man nicht. «Was ist mit dieser – Frau Mulan?»
    Der Freund schaute ihn sonderbar an. Er meinte Spott in seinem Blick zu erkennen, Verstehen, aber auch Zurückweisung. Doch er war sich nicht sicher. Er kannte Tang nun schon seit einiger Zeit, war aber meistens außerstande, seinen Gesichtsausdruck zu deuten.
    Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass in China vieles ohne Worte zum Ausdruck gebracht wurde. Selbst in Europa war es manchmal schwer, alles richtig zu deuten, umso mehr hier. Auch kleine Gesten, Zeichen waren von Bedeutung. In China galt es zum Beispiel als äußerst unhöflich, direkt Nein zu sagen.
    Manchmal kam er sich vor, als liefe er auf Treibsand. Egal, was er sagte oder tat, nicht sagte oder nicht tat, er konnte nicht einschätzen, welche Wirkung dies hatte. Natürlich gab es auch zu Hause Regeln des guten Benehmens. Hier in China schienen sie aber um ein Vielfaches wichtiger zu sein als in Europa und waren noch viel strenger ritualisiert. Das gute Benehmen, der Respekt vor Älteren, Hochgestellten, den Eltern symbolisierte zugleich das patriarchalische Prinzip des Konfuzianismus, das im Himmelssohn mündete. Der Kaiser war im Verständnis jedes Chinesen nicht nur der Herr über China, sondern Herr über alles Leben unter dem Himmel. Zumindest, soweit er es begriffen hatte.
    Manchmal hatte er das Gefühl, in den Augen seiner chinesischen Gesprächspartner so etwas wie Mitleid zu entdecken. Mitleid mit einem ungebildeten Barbaren, der nicht begreifen konnte, wie alles zusammenhing. Die Vorstellung gefiel ihm nicht, verletzte sein Selbstwertgefühl. Aber in gewissem Sinne hatten sie recht. Er verlor in diesem Land immer wieder den Boden unter den Füßen. Es fehlte ihm eine Verständnisebene, jene, die alles trug, das ganze Gebäude seines Weltbildes, und über die er meistens in der Heimat überhaupt nicht nachdachte, weil sie schon immer Bestandteil seines Lebens gewesen war. «Iss ordentlich. Schmatz nicht. Man spuckt Kirschkerne nicht in die Ecke. Mach einen schönen Diener und benimm dich respektvoll gegenüber Älteren. Sag danke. Sag bitte. Sprich dein Nachtgebet. Die Dame geht immer rechts. Knöpf dein Hemd ordentlich» – Anordnungen seiner Schwester, die ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen waren. Zusammen mit anderen Verhaltensweisen, über die sie nicht sprach, die er einfach nachlebte und nie hinterfragt hatte. Erst jetzt, hier, wurde ihm klar, wie sehr diese Regeln ihm halfen, die Reaktionen anderer Menschen zu interpretieren, Situationen einzuschätzen, die Bedeutung hinter der Bedeutung zu verstehen.
    Hier dagegen galten so völlig andere Kriterien, dass er vergebens nach einem Orientierungsrahmen tastete. Manchmal konnte er verstehen, warum sich die Deutschen lieber unter ihresgleichen aufhielten. Es war der bequeme Umkreis der Verständigung, man musste sich nicht auf anderes einlassen, Gewissheiten aufgeben.
    Natürlich konnte er die Jahre, die Huimin in einer Kultur gelebt hatte, die sich so sehr von der seinen unterschied, die so vielschichtig war, nicht aufholen. Eine Zwiebel, ja, eine Zwiebel hatte auch so viele Häute. Und jedes Mal, wenn er

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