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Die Konkubine

Die Konkubine

Titel: Die Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Gabriel
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sich selbst? Nein, sie tat nur ihre Pflicht. Ihr Unbehagen wurde mit jedem Moment größer. Er sprach schon erstaunlich gut Chinesisch. Das machte es leichter. Seine Grammatik war noch holprig, seine Betonungen ungenau. Doch sie konnte meist verstehen, was er sagte. «Frau Song, wussten Sie, dass Gabriel bei den Christen der Name eines Engels ist?»
    Ihre Verwirrung wuchs. «Engel? Was ist das?» Konrad Gabriel lachte. «Die einen behaupten, es sind Himmelsboten. Andere meinen, es sind Geistwesen, die die Menschen beschützen. Meine Schwester Martha sagt, jeder von uns hat einen Schutzengel. Es gab schon Situationen, da war ich fast geneigt, ihr zu glauben.»
    «Europäer haben eigenartige Vorstellungen», meinte Tang. Der Deutsche lachte. Er war nicht beleidigt. Mulan mochte sein Lachen. Es war frei, nicht gedrückt, sondern einladend. Sie schaute auf, sah seine meerblauen Augen und fand diese Farbe auf einmal schön. «Auf jeden Fall war Herr Ge mein Schutzengel», meinte sie schließlich leise.
    «Ich wollte, ich könnte noch oft Ihr Schutzengel sein, Frau Song.»
    Meili, die sich gerade den dreien näherte, rettete sie aus ihrer Verwirrung. «Meimei, wo bleibst du denn?», fragte sie mit gespielter Überraschung. Dann nickte sie dem fremden Soldaten höflich zu.
    Ach, wenn sie doch nur so überlegen, so sehr Herrin der Lage wäre, wie Meili das von ihr erwartete. «Ich traf den jüngeren Herrn Tang», antwortete Mulan. Ihre Verlegenheit war echt. «Herr Tang, wie gut, Sie zu sehen. Ich habe eine Botschaft für Tang Laoye. Haben Sie einen Moment Zeit? Die Erklärung dauert etwas länger. Können wir uns nicht auf eine der Bänke im Inneren der Tempelanlage setzen?»
    Tang nickte und folgte ihr. Und plötzlich waren Konrad und Mulan allein. Beide schwiegen.
    «Würden Sie mir bitte erklären, was hier über dem Tempeleingang steht?», fragte er schließlich. «Ich kann die Zeichen noch nicht verstehen.» Seine Stimme zitterte leicht. Er war offenbar ebenso befangen wie sie.
    Mulan deutete nach oben. «Die obere Inschrift bedeutet: Rings auf dem Meere gewähre die Göttin gnädige Wolken. Und die untere: Die Länder schützen und dem Volk nützen.» Sie brach ab. Er betrachtete sie, als habe sie gerade etwas von großer Wichtigkeit gesagt. Als sei alles, was sie tat und wofür sie stand, von großer Bedeutung. Als zähle neben ihr der Rest der Welt weniger als nichts. Für einen Moment fühlte sie sich wie in ihrer Kindheit. Geliebt. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und blickte zu Boden.
    Keiner der beiden fand die richtigen Worte. Die Stille zwischen ihnen dehnte sich. Schließlich räusperte er sich. «Tang und Ihre Freundin scheinen wirklich einiges zu besprechen zu haben. Vielleicht sollten wir sie suchen?» Mulan nickte.
    «Würden Sie mir währenddessen erklären, was es mit diesem Tempel auf sich hat. Wer ist diese Himmelsgöttin?» «Tianhou – es gibt viele Geschichten über sie. Wir nennen sie Ma Zu, doch eigentlich hieß sie Lin Mo. Sie lebte vor langer Zeit in der Provinz Fujian. Sie half, wo immer sie konnte, war klug und freundlich zu allen Menschen und eine hoch geachtete Prophetin. Als ihr greiser Vater starb, stürzte sie sich vor Kummer ins Meer. An dieser Stelle wurde ein Tempel gebaut, und die Menschen begannen, sie als Himmelsgöttin Tianhou zu verehren. Sie soll das Schiff eines fahrenden Kaufmanns bei dunkler Nacht und hohem Seegang in der Nähe ihres Tempels vor dem sicheren Untergang bewahrt haben. Eine Lampe wies ihm den rettenden Weg durch die Klippen. Tianhou hatte sie angezündet. Sie half noch vielen Menschen aus Seenot und ist die Schutzherrin der Seeleute. Ein wenig wie Ihre Schutzengel.»
    Konrad hatte Mulans melodischer Stimme voller Freude zugehört. Er verstand nicht jedes Wort, trotzdem begriff er, was sie sagte. Er war völlig auf sie konzentriert. Sein Bild der Welt hatte sich auf den Ausschnitt verengt, in dessen Mittelpunkt sie sich bewegte. Zwischen ihnen ging etwas vor, das keiner von beiden benennen konnte. Etwas, für das es keine Worte gab. Hätte ein Freund ihm früher so etwas erzählt, er hätte ihn für einen armen Irren gehalten.
    Eine Brise wehte ihren Duft zu ihm herüber, er sehnte sich danach, sie zu berühren.
    Sie betraten den ersten Hof des Tempels mit der Bühne, die bei besonderen Gelegenheiten zum Theaterspielen genutzt wurde. Die Zuschauerräume befanden sich links und rechts des Eingangs zum zweiten Hof. Tang Huimin und Chen Meili sah er nirgends.

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