Die Korallentaucherin
sein.«
»Glaubst du manchmal, dass das Fehlen eines männlichen Vorbilds deine Beziehungen zu Männern beeinflusst haben könnte?«
»Beziehungen?« Jennifer lachte hohl. »Ich habe nicht das Glück, auf eine Reihe gescheiterter Beziehungen zurückblicken zu können. Blair ist meine einzige.«
»Deine Mutter mag ihn? Wahrscheinlich ist sie froh, dass du nie unglücklich verliebt warst, oder?«
»Isobel, meine Mutter wäre auch dann nicht zufrieden, wenn ich einen reizenden, gutaussehenden Kronprinzen aus dem Märchenland heiraten würde. Keiner könnte in ihren Augen jemals gut genug für mich sein.«
»Oje. Und freut sie sich auf das Baby?«
»Das weiß man nie. Sie kann nicht einfach sagen: ›Wie schön, herrlich, ich freue mich.‹ Zuallererst lotet sie die negativen und organisatorischen Seiten aus. Ich wüsste doch gar nicht, was da noch auf mich zukommt. Ich vermute, auf diese Weise will sie sich das Gefühl verschaffen, gebraucht zu werden.«
»Ja. Und du hast dein ganzes Leben darauf eingerichtet, dich ihren Bedürfnissen anzupassen oder unterzuordnen. Und was ist mit deinen?«, fragte Isobel. »Du kannst es nicht immer allen recht machen. Wie wär’s, wenn du dich mal um dich kümmern würdest?«
Frage jetzt bitte nicht, ob Blair fürsorglich ist.
»Das tue ich jetzt. Gesundheit und so.«
Isobel berührte Jennifers Arm. »Weil du schwanger bist. Ich meine aber im Allgemeinen, im Hinblick auf deine Bedürfnisse, psychisch, emotional und intellektuell. Nicht nur körperlich.«
Jennifer wusste keine Antwort. Es gab niemanden, der diese Bedürfnisse erfüllte. Vorsichtig sagte sie: »Ich schätze, ein bisschen von alldem bekomme ich von verschiedenen Menschen.«
Isobel nickte. Schweigend gingen sie ein Stückchen weiter. Die Intimität der Nacht löste sich allmählich auf. Sie konnten inzwischen gut sehen und knipsten die Taschenlampen aus.
»Da, ein Stückchen weiter noch, da ist es, was ich dir zeigen will.« Isobel beschleunigte ihren Schritt, doch Jennifer sah nichts.
»Da sind ihre Spuren. Sie ist noch nicht zurückgekommen.« Sie deutete auf eine deutliche Spur, die vom Wasser aus den Strand hinaufführte.
Für Jennifer sahen die Spuren aus wie die von Reifen mit einem sonderbaren Muster. Eine einzelne gerade Linie verlief genau in der Mitte. »Eine Schildkröte? Was ist diese Linie zwischen den Spuren?«
»Das hintere Ende des weiblichen Panzers, der im Sand schleift. Sie wird immer noch mit der Eiablage beschäftigt sein. Bleib nicht vor ihr stehen.«
Isobel folgte der Spur bis zum Ende des Strands, wo unter Rankgewächsen eine große Grube ausgehoben war. In ihrer Mitte legte eine riesige grüne Schildkröte ihre mehr als hundert Eier ab, eines nach dem anderen. Leise setzten sie sich seitlich hinter ihr in den Sand, voller Ehrfurcht angesichts der Konzentration und Anstrengung der alten Schildkröte.
Jennifer war gerührt, fühlte mit als werdende Mutter. »Sie weint! Sieh mal, Tränen rollen über das ledrige alte Gesicht«, flüsterte sie.
»Nein, das ist ein Sekret, das das Austrocknen der Augen verhindert. Trotzdem glaube ich immer, dass es furchtbar anstrengend für sie ist. Diese Schildkröten sind hier geschlüpft, und sie schwimmen immense Strecken zurück zu ebendieser Stelle, um ihre Eier abzulegen, und dann sehen sie nie, wie ihre Jungen schlüpfen, ob sie überleben oder sterben. Nur etwa zwei Prozent überleben«, sagte Isobel.
»So viele Räuber«, seufzte Jennifer. »Ich komme mir so voyeuristisch vor. Macht es dir etwas aus, wenn wir jetzt gehen?«
»Ich weiß, wie du dich fühlst. Es stört mich auch immer, wenn Touristengruppen zusehen, plappern, fotografieren.« Isobel stand auf. »Gehen wir den Strand entlang nach Coral Point. Wir können bei Gideon frühstücken.«
»Ob er schon auf den Beinen ist?«
»Wenn nicht, dann wecken wir ihn«, antwortete Isobel fröhlich.
Blair würde im Achteck springen, wenn ich ihn wecken und einen Frühstücksgast mitbringen würde.
»Ich sterbe vor Hunger. Gute Idee.«
Kurz bevor sie am Ende des Strands angelangt waren, sahen sie eine Kamera aufblitzen.
»Frühe Touristen«, sagte Isobel.
Drei oder vier Personen standen da, und im lavendelfarbenen Licht konnte Jennifer die Spuren im Sand erkennen. Einer drehte sich um, als sie näher kamen.
»Das arme Ding, welch eine Anstrengung. Wir haben beobachtet, wie sie diesen Riesenhaufen Eier eingebuddelt hat.« Er deutete auf einen Sandhügel oberhalb der Wassermarke. »Und
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