Die Korallentaucherin
sie hat eine Ewigkeit dazu gebraucht.«
»Die Arbeit einer langen Nacht«, pflichtete Isobel ihm bei.
Jennifer sah, wie die erschöpfte Schildkröte ihre Flossen in den Sand grub und sich ein paar Zentimeter weiterschleppte. Sie wartete, sammelte Kraft und stemmte ihren enormen gewölbten Panzer erneut hoch.
»Im Wasser sind sie so anmutig und bewegen sich so flink«, sagte einer der Touristen.
Sie sahen ihr weiter zu, während der heraufdämmernde Morgen einen rosigen Hauch über den nassen Sand, den Wasserspiegel und den muschelbewachsenen Panzer der Schildkröte warf. Ein allgemeiner Seufzer ertönte, als die Schildkröte das Wasser erreicht hatte und sich nun flink fortbewegte. Bald sah man nur noch die Oberfläche des Panzers und ihren Kopf. Die alten Knopfaugen waren auf einen Ort in der Ferne gerichtet.
»Bis nächstes Jahr«, rief jemand.
»Kommt mit, ein Stück weiter unten ist noch eine Schildkröte.«
Die Gruppe brach in Richtung Ferienanlage auf, und Jennifer und Isobel folgten dem Weg zu der kleinen Landzunge. Im Pisonienwald hielten sie inne, um dem morgendlichen Chaos der Noddy-Seeschwalben zuzusehen, die ihren Tag begannen. Sie lachten über Hunderte von zankenden, sich küssenden und nestbauenden Pärchen.
Isobel stieß Jennifer in die Rippen, als sie sich Gideons Hütte näherten. »Ich rieche Speck und Kaffee.«
Wenig später ruhten sie zu dritt in alten Segeltuchsesseln vor dem Grill, auf dem Gideon zwei dicke Brotstücke im Bratfett von Eiern, Würstchen und Speck grillte.
»Du hast heute Morgen also Schildkröten beobachtet, Miss Jennifer? Du musst auch kommen, wenn sie schlüpfen. Was hast du sonst noch für unsere eifrige Studentin geplant, Isobel?«
»Ich will nur ihre Sinne wecken. Sie ist zu bescheiden, was ihre Fähigkeiten betrifft. Mac hat vorgeschlagen, dass sie bei ihm graduiert«, erklärte Isobel. »Und die Schwangerschaft ist überhaupt kein Hinderungsgrund«, fügte sie hinzu. »Mac betreut das Forschungsprojekt. Wenn sie gut abschneidet, kann sie promovieren.«
»Die Versuchung ist groß, das muss ich zugeben. Aber wie soll ich das zu Ende führen, falls wir, wie Blair angedroht hat, nach Übersee ziehen? Die Schleimer, wie Rosie sie nennt, haben ihn nahezu hypnotisiert.«
Isobel zuckte die Schultern und winkte ab. »Pah, solchen Plänen würde ich keine Bedeutung beimessen. Rosie sagt, sie sind Opportunisten und haben nichts zu sagen. Firmenpolitik, Korruption, Kungelei. Sie haben es nur auf den schnellen Dollar für die eigene Tasche abgesehen. Sie werden die Karriere deines Mannes nicht fördern, sie werden ihn höchstens benutzen. Glaub mir, in dem Bereich habe ich schon wahre Meisterleistungen gesehen.«
»Jennifer, Mädchen, wir interessieren uns für dich«, sagte Gideon. »Hier wird viel spannende Arbeit geleistet. Das alles mag aussehen wie ein Feriencamp der Universität, aber zum Beispiel für das, was Rudi erforscht, zeigt sogar die Regierung Interesse.«
»Welches Ministerium?«, fragte Isobel. »Fischerei?«
»Sie halten sich ziemlich bedeckt, und das riecht nach ›streng geheim‹, finde ich«, sagte Gideon. »Mac wird sicher mehr erfahren. Es hat mit Pflanzengiften zu tun.«
»Chemikalien, biologische Kriegführung?« Jennifer lachte.
»Kein Scherz, meine Liebe. Die Geheimnisse am Meeresboden sind uns noch weitestgehend verborgen. Wenngleich« – er verbeugte sich leicht in Isobels Richtung – »unsere geschätzte Freundin hier für ihre Forschung, ihre Leistungen als Ozeanographin und ihre waghalsigen Unternehmungen schon viel Ruhm und Ehre geerntet hat.«
Jennifer nickte. »Ich weiß, deiner Meinung nach soll man nicht alles glauben, was man aus dem Internet erfährt, aber ich habe meine Hausaufgaben über dich gemacht, Isobel. Wie du in einem der ersten Unterwasserfahrzeuge abgetaucht bist, mit einer Ausgangsschleuse, damit du das Fahrzeug unter Wasser verlassen, dich umsehen und Proben sammeln konntest.«
»Wie die Astronauten auf dem Mond«, bestätigte Gideon. »Außerdem hat sie im Zusammenhang mit einem geheimen Regierungsexperiment mehrere Wochen lang in einem Unterwasser-Speziallabor gelebt.«
»Und damals war ich im vierten Monat schwanger.« Sie lächelte.
»Ich dachte, deine Berühmtheit verdanktest du der Tatsache, dass du bisher weltweit am tiefsten getaucht bist«, sagte Jennifer.
Isobel zuckte lässig die Schultern. »Ich tu, was nötig ist, um mein Ziel zu erreichen. Ja, wir wollen mehr darüber wissen, was sich in den
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