Die Korallentaucherin
Füßen und spürte, wie ihr Körper, angetrieben vom Flossenschlag, vorwärtsschoss. Isobel holte sie ein und hielt inne.
»Sieh mir zu, dann versuchen wir’s gemeinsam.«
Bevor Jennifer antworten konnte, schöpfte Isobel tief Luft, tauchte unter, und ihre Schwimmflossen blitzten an der Oberfläche auf, als sie einige Züge nach unten zu den Korallen schwamm, sich dann wieder aufrichtete und die Oberfläche durchbrach.
»Fertig?« Sie nahm Jennifers Hand und holte Luft. Jennifer tat es ihr nach, und sie stießen gemeinsam hinab zu der farbenprächtigen Korallenbank. Jennifer spürte den Druck der Taucherbrille im Gesicht, doch ihr anfängliches Erstickungsgefühl verging, als sie sich von der prachtvollen Szenerie faszinieren ließ. Die Korallen leuchteten geradezu im hellen Licht. Kleine, bunte Fische flitzten in frechem Versteckspiel umher. Wehender Tang bildete eine kunstvoll gestaltete Landschaft. Dann wurde Jennifer an die Oberfläche gezogen und begann wieder, Wasser zu treten. Isobel lächelte sie an.
»Bist du bereit, noch einmal zu tauchen?«
»Wie lange war ich unten? Es erschien mir wie eine Ewigkeit.«
»Sekunden. Jetzt nehmen wir die Schnorchel. Wenn wir ein paar Meter dort hinüberschwimmen, ist das Riff höher, und du kannst dich treiben lassen, zwischendurch Atem holen und es eingehender betrachten.« Sie befestigte den Schnorchel an Jennifers Taucherbrille und zeigte ihr das Mundstück.
»Nimm es zwischen die Zähne und atme ganz normal.« Sie brachte ihren eigenen Schnorchel an, tauchte das Gesicht ins Wasser, und Jennifer hörte ihre rauhen Atemzüge durch die kleine Plastikröhre. Isobel nahm das Mundstück heraus und erklärte: »Falls du Wasser ansaugst, blase es einfach heraus – wie ein Wal. »Komm mit.« Sie schwamm los, und Jennifer folgte ihr, unsicher, aber vertrauensvoll. Das Seil, von Gideon gehalten, trieb hinter ihr.
Sie wusste nicht genau, wann es geschehen war, aber Jennifer hatte das Gefühl, auf einem Wasserbett zu liegen, sicher und geborgen und einen Film anzusehen. Gelegentlich sah sie Isobels roten Taucheranzug, wenn sie untertauchte, um irgendetwas näher in Augenschein zu nehmen. Jennifer war zufrieden damit, auf dem Bauch zu treiben und den Meeresgarten unter sich zu betrachten.
Vielleicht lag es daran, dass sie auf der Oberfläche lag und nicht unter Wasser schwamm, und daran, dass alles so ruhig und wunderschön war, dass keine Geister oder Ängste kamen, um sie heimzusuchen. Außerdem ahnte sie, dass sie nur das oberflächliche Bild erlebte, dass Tauchen oder eine Fahrt im Unterwasserfahrzeug ihr eher die Begeisterung entlocken würde, die Tony an diesem Tag gezeigt hatte. Sie hob den Kopf und schaute sich um. Sie sah weder Isobel noch das Boot. Sofort schnürte sich ihr die Kehle zusammen. Dutzende von grausigen Szenarien schossen ihr durch den Kopf – aus dem Film
Der weiße Hai
, von einem Bericht über Taucher, die von ihrem Boot zurückgelassen wurden, von den Alpträumen ihrer eigenen Kindheit. Sie spuckte das Mundstück aus und begann einfach draufloszuschwimmen, ohne Sinn für die Richtung, und stellte fest, dass sie weinte, doch ihr Mund war voller Wasser. Sie hatte das Gefühl, dass die Wellen über ihr zusammenschlügen, dass sie hinabgezogen wurde zu einem dunklen, Angst einflößenden Ort voller Knochen und Leichen.
Sie schlug um sich, und da legte sich ein starker Arm von hinten um ihren Oberkörper. »Schon gut. Ganz ruhig, Jenny … Du hast eine Panikattacke, atme tief durch …« Isobels Stimme klang streng und eindringlich. Isobel schwamm auf der Seite und zog Jennifer mit sich, bis sie wieder ruhig atmete und sich aus ihrem Griff befreite.
Keuchend trat sie Wasser und entdeckte das Boot hinter Isobel. »Himmel, was war das? Ich dachte, ich würde ertrinken, untergehen oder so.«
»Das ist nicht ungewöhnlich. Halte still, orientiere dich wieder.«
»Ich will raus.«
»Nein! Bleib hier. Nur noch einen Augenblick. Sieh nur, das Wasser ist ganz ruhig, schön blau. Da drüben ist Gideon mit dem Boot. Und hier unten … du kannst immer noch die Farben sehen. Wie schön sie sind …« Isobel redete tröstlich auf sie ein.
Allmählich kam Jennifer wieder zu sich, ihr Herzschlag normalisierte sich, und sie konnte erneut ins Wasser blicken.
Als sie zum Boot zurückkamen und Jennifer Gideon ihre Taucherbrille, den Schnorchel und die Schwimmflossen reichte, während sie, sich am Rettungsring festhaltend, noch im Wasser hing, war sie schon
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