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Die Korallentaucherin

Die Korallentaucherin

Titel: Die Korallentaucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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was sollte ich machen? Ihn zwingen, zurückzukommen und für uns zu sorgen? Und uns zu lieben?« Christina schüttelte den Kopf. »Nein, es war besser, zu denken, er wäre tot. Für mich war er tot.«
    »Aber was war mit mir, Mum? All diese Jahre habe ich mir einen Vater gewünscht, hätte ihn gebraucht. Er ist Bellas Großvater, verdammt!«
    »Das hat er nicht verdient.« Tränen strömten über Christinas Gesicht. »Ich war diejenige, die dich großgezogen, die für dich gesorgt, dir ein Heim und ein Leben gegeben hat. Ich habe mir solche Mühe gegeben …« Sie fing an zu weinen und vergrub das Gesicht in den Händen.
    Isobel gab Jennifer ein Zeichen, zu ihr zu gehen. Doch einen Moment lang war Jennifer unfähig, sich zu bewegen. Zorn, Schmerz, Enttäuschung wallten in ihr auf angesichts des überwältigenden Wissens, dass ihr Vater wahrscheinlich noch lebte. All die verlorenen Jahre.
    Isobels Stimme brach in ihre Gedanken ein. »Jenny, stell dir vor, du wärst an ihrer Stelle gewesen. Erinnere dich, wie es für deine Mutter war … Vielleicht hättest du anders gehandelt. Aber sie hat getan, was sie für das Beste hielt für dich.«
    Jennifer nahm ihre Mutter in die Arme; sie weinten beide. Dann wimmerte Bella, und Jennifer löste sich von ihrer Mutter, um ihr Baby in den Arm zu nehmen. Sie senkte den Blick auf das kleine Kind mit den zitternden Lippen und dem vertrauensvollen Blick. Zwischen ihnen sollte es nie Geheimnisse geben. Stumm schwor sie sich, immer ehrlich zu ihrer Tochter zu sein.
    »Es tut mir leid, Jen-Jen«, flüsterte Christina, kramte ein Taschentuch hervor und tupfte sich die Augen ab. »Geh jetzt. Ich komme schon zurecht.«
    Jennifer vernahm den selbstmitleidigen Unterton in der Stimme ihrer Mutter, der immer da war und immer da sein würde.
Ich bleibe nicht, Mum. Ich werde dich lieben und an unserem Leben teilhaben lassen. Aber führen werde ich mein Leben so, wie ich es will.
    »Ich will zurück auf die Insel, Mum. Ob du kommst oder nicht, ist deine Entscheidung. Wie du dich auch entschließt, wir lieben dich deswegen nicht weniger. Ruf mich morgen an und lass es mich wissen.« Jennifer flüchtete.
    Isobel stoppte den Wagen am Anleger, und sie saßen da und blickten aufs Wasser und die Geschäftigkeit dort, während Jennifer das Baby stillte.
    »Was willst du unternehmen? Wegen deines Vaters?«, fragte Isobel leise.
    »Ich weiß es nicht. Ich stehe unter Schock.«
    »Das war dumm und schrecklich von ihm. Aber stell dir den Schmerz vor, mit dem er all die Jahre gelebt hat.«
    Jennifer sah Isobel an. »Meinst du? Oder hat er einfach weitergemacht, eine neue Familie gegründet und nie wieder an mich gedacht? Das tut so weh. Hat er je an meinen Geburtstag gedacht, sich gefragt, wie es mir in der Schule ging, was aus mir geworden ist?«
    »Ich glaube, wenn er tatsächlich frühzeitig versucht hat, Kontakt zu dir aufzunehmen, dann hat Christina ihn abgewimmelt. Sie wollte dich ganz für sich allein haben. Sie wusste, dass er lebte, und vielleicht hat sie aus diesem Grund nie wieder geheiratet. Das ist ihre Art, es ihm zurückzuzahlen. Ihn zu bestrafen. Er scheint ein schwacher, weicher, liebevoller Mensch gewesen zu sein. Er hätte nicht gegen Christina gekämpft«, sagte Isobel.
    »Er wird wissen, dass Mum mich gegen ihn aufgehetzt hätte. Sie hat mir nie Anlass gegeben, stolz auf ihn zu sein, aber ich erinnere mich an schöne Zeiten. Ich habe ihn geliebt, Isobel. Er war mein Vater. Und jetzt möchte ich ihn für seine Handlungsweise hassen. Ich wollte, er wäre wirklich tot.« Wieder kamen ihr die Tränen und tropften in Bellas weiches Haar. »Wahrscheinlich hat er eine neue Familie und denkt nicht mehr an Mum und mich.«
    »Im Herzen kann kein Mensch sein Kind vergessen. Komm jetzt, Bob wartet darauf, dich zurückzufliegen.« Isobel ließ den Motor an. Sie litt mit Jennifer. Irgendwann würde Jennifer dieses Problem in Angriff nehmen müssen. Womöglich hatte sie irgendwo Halbgeschwister, eine zweite Familie. Eine Familie, die ihre Geschichte vielleicht nicht kannte. Es wäre nicht recht, Bella die Chance zu nehmen, ihre Verwandtschaft großväterlicherseits kennenzulernen. Arme Jennifer. Arme Christina. Einen Augenblick lang fühlte Isobel sich schuldig, weil sie es war, die Christina unbeabsichtigt zum Aufdecken ihres Geheimnisses getrieben hatte. Doch sie hoffte, dass Jennifer und Christina jetzt, da es gelüftet war, einander besser verstehen würden. Sie war glücklich, weil Jennifer sie

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