Die Korallentaucherin
klingt so abwertend.«
»Wegen des Lagerkollers, Schätzchen. Den kriegt man, wenn man auf einer kleinen Insel mitten im großen Ozean lebt und nicht alle paar Wochen oder Monate Urlaub nimmt; man wird ein bisschen wunderlich. Sie sind erst seit etwa zehn Tagen dort, oder?« Sie zog lächelnd eine Augenbraue hoch, und Jennifer hatte das Gefühl, getadelt zu werden, weil sie schon so früh die Flucht ergriffen hatte.
»Ich muss ein paar Dinge erledigen. Einkaufen. Wo kann man hier am besten einkaufen?«, erkundigte sich Jennifer.
»Oh, wir haben ein großes Einkaufszentrum. Folgen Sie den Wegweisern zur Tropicana World. Bald bekommen wir eine phantastische überdachte Einkaufsstraße. Seit wir den neuen Stadtrat haben, geht es hier voran.«
Wie schade. Dann machen Baulöwen aus diesem Ort eine Stadt wie jede andere.
»Schön. Würden Sie mich bitte für die Rückfahrt am Spätnachmittag vormerken? Bis später.«
Jennifer holte ihren Wagen aus dem Depot, und ihr kam in den Sinn, dass sie einfach wegfahren könnte, irgendwohin. Weiter nach Norden, in den Süden, landeinwärts oder ins Outback. Sie sehnte sich nach offenem Land, einem fernen Horizont, der nicht das Meer berührte. Sie sehnte sich nach Anonymität und dem Wissen, dass ihr Alternativen offenstanden. Kino, Einkaufen, Cafés, Restaurants, Kneipen. Sie wollte Regen und kaltes Wetter, sie wollte Abwechslung. Die Aneinanderreihung blauer, sonniger Tage langweilte sie.
Das Einkaufszentrum war steril. In jeder Stadt, in jeder Vorstadt Australiens fanden sich die gleichen Geschäfte und Einrichtungen. Dennoch bot es eine willkommene Abwechslung. Sie brauchte und suchte nichts Bestimmtes, doch sie stöberte mit der Gründlichkeit der hingebungsvollen Einkäuferin und kaufte ein paar Dinge.
Sie fuhr um das als » CBD « ausgeschilderte Zentrum herum, das aus Haushaltswarengeschäften, Video- und Mobilfunk-Verkaufsstellen, Schiffsreparaturwerkstätten und Büros kleiner Unternehmen zu bestehen schien. Weiter außerhalb der Stadt stieß sie auf Wohngebiete, eine große Gärtnerei, ein paar Restaurants, einen Tante-Emma-Laden und einen Zeitungskiosk. Einen Hügel hinauf gelangte sie zu den öffentlichen Gärten mit Blick über den Hafen und aufs Meer, wo das Riff mit seinem Ring aus kleinen Inseln Gäste mit seiner Postkartenschönheit anzog.
Der Zaun, der die öffentlichen Gärten einfasste, war überwuchert von violetten, pinkfarbenen und weißen Bougainvilleen, und Jennifer wurde sich bewusst, wie sehr es auf Branch an bunten Blumen mangelte. Sie war versucht, zurück in die Stadt zu fahren und bunte Seidenblumen zu kaufen, sagte sich aber, dass die Einfuhr von künstlichen Blumen auf Branch Island dem Ethos des Vorrangs der Natur widersprach. Verborgen in einer grünen Oase seitlich der öffentlichen Gärten fand sie ein Restaurant mit dem zutreffenden Namen »Der Ausblick«. Sie stellte den Wagen ab und bat um einen Tisch auf der Veranda.
Sie hatte auf der Insel nicht gut gegessen, obwohl die Verpflegung dort als großes Plus betrachtet wurde. Blair und der Koch kreierten phantastische Gerichte, doch diese waren für Jennifers Geschmack zu kompliziert, ähnelten zu sehr den glamourösen Speisen in Gourmet-Magazinen. Die Gäste entschieden sich entweder für die reich garnierten Vorzeige-Menüs oder für das »Schwein am Spieß«-Büfett, wie Jennifer es getauft hatte, und beides bot ihrer Meinung nach an Auswahl und Menge viel mehr, als ein Mensch brauchte.
Die schlichten Gerichte im »Ausblick« sagten ihr zu, und sie aß mit Genuss. Sie fühlte sich so viel besser, dass sie erwog, ihren Arzttermin abzusagen. Was sie brauchte, sagte sie sich, war regelmäßiger Kontakt mit der Außenwelt. Während sie auf ihren Kaffee wartete, schaltete sie ihr Handy ein, das auf der Insel nutzlos war.
»Hallo, Vi, ich bin’s. Ich bin für einen Tag auf dem Festland, also können wir ein bisschen schwatzen.«
»O Jen, es ist so schön, deine Stimme zu hören. Deine Mum wird sich furchtbar ärgern, deinen Anruf verpasst zu haben. Sie ist im Club.«
»Du fehlst mir. Wie geht es Don? Und Mum?«
»Blendend. Nun erzähl schon, wie ist es? Du hast uns noch keine einzige E-Mail geschickt.«
»Entschuldige, Vi. Ich schäme mich dafür. Aber es ist, als säße ich in einem Kokon. Die Tage vergehen, und ich habe mich immer noch nicht eingerichtet. Spiele nur den Feriengast. Blair hat sich gut eingelebt und findet alles toll.«
Vi erkannte die Beunruhigung in Jennifers
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