Die Korallentaucherin
regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen.« Er wandte sich seinen Notizen zu und kritzelte etwas in ihre Patientenkarte. Alle weiteren Entscheidungen waren ihr überlassen.
Benommen saß Jennifer vor der Arztpraxis in ihrem Wagen. Irgendwann fuhr sie schließlich zum Hafen und parkte in der Nähe des Abstellplatzes. Der Katamaran näherte sich dem Anleger und würde in einer Dreiviertelstunde zurück zur Insel fahren.
Sie beobachtete die Urlauber, die an Land gingen, braun gebrannt, entspannt und fröhlich, und wünschte sich, auch so unbeschwert sein zu können. Es ging über ihre Vorstellungskraft, dass sie und Blair wirklich ein Kind hervorbringen konnten und dass sie Mutter sein würde. Es würde ihrer beider Leben verändern. Doch Blair würde sich über diese Panne nicht freuen. Sie war überzeugt, dass er das Kind lieben würde, hatte jedoch Angst davor, es ihm jetzt schon zu sagen. Sie wusste, dass er sich über diesen Umbruch in ihrem Leben ärgern würde. Seine Karriere konnte darunter leiden, und sie hatten besprochen, mit der Gründung einer Familie noch zu warten. Würde er die Abtreibung fordern? Und wie dachte sie selbst darüber?
Jennifer saß da und legte die Hände auf ihren Leib. Ihr war zum Weinen zumute. Sie fühlte sich sehr jung und nicht vorbereitet auf dieses Problem. Würde sie es durchstehen, das Baby abzutreiben, ohne dass Blair je etwas erfuhr? Nein! Plötzlich überkam sie eine mächtige Gefühlsaufwallung, die in ihr sprudelte wie heißes Wasser. Warum galt ihre erste Sorge Blair und seiner Karriere? Sie trug sein Kind. Gemeinsam würden sie ihre Zukunft planen und den besten Weg finden, ihr Leben umzustellen. Doch Jennifers Entschluss stand felsenfest: Über das Kind entschied sie ganz allein.
Sie stellte den Wagen ab, besorgte sich etwas Kaltes zu trinken und wartete darauf, an Bord gehen zu können.
Vera sah sie und rief: »Wo sind Ihre Einkäufe? Haben Sie etwa nichts gefunden?«
Jennifer hielt eine kleine Einkaufstüte in die Höhe. »Nur ein paar Geschenke. Ich muss noch mal rüberkommen, ich habe nicht alle Geschäfte abklappern können.«
»Sie wirken viel entspannter. Freut mich, dass Sie einen schönen Tag hatten. Heute fahren ein paar Flitterwöchner rüber auf die Insel. Wie es aussieht, wird es nicht so brüllend heiß. Trotzdem, es würde sie wohl kaum stören, wenn sie ein paar Tage im Zimmer verbringen müssten.«
Jennifer blickte zum Himmel auf und sah die dunklen Wolkenschleier. »Wie schlimm wird die Überfahrt?«
»Problemlos. Aber halten Sie sich drinnen auf, der Wind treibt die Gischt übers Deck. Werden Sie seekrank?«
»Ach, ich weiß nicht. Ehrlich gesagt, ich bekomme eher Angst, als dass mir schlecht wird. Es ist doch nicht gefährlich, oder?«
»Absolut sicher. Ich veranlasse, dass ein gutes Video gezeigt wird, und die Bar ist geöffnet. Trinken Sie ein, zwei Gläser Sekt, dann bemerken Sie das Schaukeln gar nicht.«
Wetten, doch?
»Oh. Vielleicht sollte ich lieber eine Tablette nehmen.« Dann fiel es ihr wieder ein: Sie war schwanger. Sie sollte lieber nichts einnehmen, was ihrem Kind schaden konnte. Gott, wie sich ihr Denken schon jetzt veränderte. »Ach, keine Sorge, Vera. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen.« Alles in Maßen, das sollte jetzt ihre Devise sein.
Die Überfahrt zur Insel war die Hölle für sie. Das Wasser war aufgewühlt. Der Wind riss die Gischt von den graublauen Wellen, und Jennifer hatte das Gefühl, dass der leichtgebaute Katamaran Mühe hatte, sich auf dem Rücken einer gereizten Kreatur zu halten, die ihn wie ein lästiges Insekt abzuschütteln suchte. Sie saß in der Nähe der Lüftung und verfolgte den Videofilm über die Wunder des Riffs und seiner Inseln. Während die Touristen erwartungsvolle Entzückensschreie ausstießen, nippte Jennifer an ihrem Sekt, dachte unentwegt an das winzige Leben in ihr und versuchte, sich an die atemberaubende Vorstellung zu gewöhnen, dass sie Mutter wurde. Trotz ihres Versprechens hatte sie Christina nicht mehr angerufen. Kein Handy-Empfang, nur ein Münzfernsprecher an der Hotelrezeption waren eine gute Ausrede. Über das Telefon im Zimmer bekam man auch keine direkte Verbindung. Jennifer wusste, dass ihre Mutter etwas ahnen und ihr die Neuigkeit entlocken würde. Sie war noch nicht bereit, der Welt zu verkünden, dass sie schwanger war.
Zwei Tage lang überlegte Jennifer, wie sie es Blair sagen sollte. Bei einem romantischen Abendessen? Oder bei einem Drink zum Sonnenuntergang? Das
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