Die Krankenschwester
schlafen Sie. So etwas tut immer gut.«
»Ich versuche es.«
Schwester Becky verließ den Raum. Zurück ließ sie einen Hauch von Frische. Sie mußte sich kurz zuvor geduscht oder nur das Gesicht gewaschen haben.
Sir James blieb allein zurück. Er hatte nichts dagegen, allein zu sein, aber wenn, dann bitte schön in seinem Büro. Dort verfügte er über die entsprechenden Mittel, um mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen. In diesem Raum gab es zwar ein Telefon, aber man hatte ihm geraten, sich nicht zu bewegen, die Wunde war noch zu frisch, so blieb er auf dem Rücken liegen und ließ Telefon Telefon sein.
Er hatte sich über Glendas und Johns Besuch gefreut. Er hatte ihm das Gefühl des Alleinseins ein wenig genommen. Trotzdem war er ein Mensch, der grübelte und auch nicht vergaß, was er gesehen hatte. Es war auf keinen Fall Einbildung gewesen. Diese Gestalt hatte vor ihm geschwebt. Ein weißes Gespenst, ein Geist, feinstofflich, aber trotzdem bewaffnet.
Noch jetzt hatte er das Funkeln der Klinge nicht aus seiner Erinnerung verbannen können. Es war ihm wie eine Drohung vorgekommen, und er war mittlerweile davon überzeugt, daß in diesem Krankenhaus etwas nicht stimmte.
Äußerlich hatte er nichts bemerkt. Keine Unruhe unter den Mitarbeitern.
Vieles oder alles war normal geblieben, aber die Erscheinung hatte es gegeben, und er war davon überzeugt, daß sie sich nicht endgültig zurückgezogen hatte.
Sir James verspürte keine Schmerzen. Man hatte die Wunde schmerzfrei gestellt. Zum Glück nicht mit einem so starken Mittel, daß sein Denken beeinträchtigt gewesen wäre. Der Geist war relativ klar, auch wenn immer wieder die Müdigkeit in Wellen hochschwappte.
Sir James wollte nicht schlafen. Es war Tag. Er dachte daran, daß noch etwas passieren konnte. Die Fensterscheibe war durch das herabgelassene Rollo verdeckt, die Scheibe dahinter war nur mehr zu ahnen, aber sein Blick wurde immer wieder von diesem Viereck angezogen. Eine Erklärung hatte Sir James dafür nicht. Es war einfach so.
Er lag und wartete.
Worauf er wartete, das wußte er selbst nicht. Bestimmt nicht auf die Rückkehr der Krankenschwester. Er ging einfach davon aus, daß etwas passieren würde, das auch mit ihm zusammenhing.
Und der Gedanke an die fremde Gestalt mit dem Messer wurde immer stärker.
Sein Atem ging normal. Er lag ruhig in seinem Bett. Nur die Augen bewegten sich, wenn er seine Blicke durch den Raum schickte. Durch ein zwielichtiges Halbdunkel, in dem die Schatten überwogen. Auf keinen Fall störte ihn das Sonnenlicht.
Aber die Müdigkeit ließ sich nicht vertreiben. Sosehr sich der Superintendent auch bemühte, er schaffte es einfach nicht, die Augen offenzuhalten.
Auf einmal hatte er das Gefühl, in die Tiefe zu sacken, die ihm bodenlos vorkam. Er fiel und fiel, er war plötzlich weg, hineingesunken in den tiefen Krater des Schlafs, aus dem er so schnell auch nicht wieder erwachte.
Weg, vorbei…
Und die Zeit verstrich.
Sir James schlief. Er bekam nichts mit. Er hörte auch nichts, und er schlief seiner Gesundung entgegen. Ihm entging auch, daß sich die Tür öffnete und Schwester Becky das Zimmer betrat, an sein Bett kam, die Geräte überprüfte, sich auch den Patienten anschaute und zufrieden war.
Lächelnd ging sie aus dem Raum und schloß die Tür behutsam hinter sich zu.
Wieder war das Zimmer nur von den Atemzügen des Kranken erfüllt, ansonsten war kein Geräusch zu hören.
Wirklich keines?
Sir James vernahm es nicht, als die Lamellen des Rollos flatterten. Es entstanden hart klingende Laute, leicht metallisch und auch irgendwie raschelnd. Echos wehten durch den Raum, sehr leise, verklangen wieder, und so trat erneut die Stille ein.
Aber ein Anfang war gemacht worden. Niemand hielt sich im Zimmer auf, der das Rollo hätte bewegen können. Auch das Fenster war geschlossen, so daß der Wind ausgesperrt blieb.
Dennoch hatten sich die Lamellen bewegt.
Und jetzt wieder.
In der oberen Hälfte wurden sie nach unten gedrückt, schnellten dann wieder in die Höhe und produzierten die entsprechenden Geräusche.
Diesmal so laut, daß sie den schlafenden Patienten störten. Sir James erwachte. Es war kein schnelles, schreckhaftes Erwachen. Eher wie in Zeitlupe. Endlich schlug Sir James die Augen auf, wobei er im ersten Moment nicht wußte, wo er sich befand, denn die leere Umgebung war ihm doch fremd.
Er lag auf dem Rücken. Seine Augen waren geöffnet. Er schaute nach vorn und zugleich in einem
Weitere Kostenlose Bücher