Die Kreatur
nennt?«
»Ja.«
»Du bist die erste Mutter, der Randal je begegnet ist. Randal will keine Mütter töten. Willst du getötet werden?«
»Nein. Bitte nicht.«
»Viele Leute wollen getötet werden. Die Kinder der Barmherzigkeit . Weil sie sich selbst nicht töten können.«
Er unterbricht sich, um mehr Eis in seinen Mund zu schaufeln.
Dann leckt er sich die Lippen und spricht weiter: »Das schmeckt besser als Spinnen und Regenwürmer und Nagetiere. Die wären nicht so lecker. Randal gefällt es in einem Haus besser als unter einem Haus. Gefällt es dir in einem Haus besser als unter einem Haus?«
»Ja.«
»Hast du schon mal mit einem toten Landstreicher in einem Müllcontainer gesessen?«
Sie starrt ihn an und sagt kein Wort.
Er vermutet, dass sie ihr Gedächtnis durchforstet, doch nach einer Weile sagt er: »Vicky? Hast du schon mal mit einem toten Landstreicher in einem Müllcontainer gesessen?«
»Nein. Nein, noch nie.«
Randal sechs ist noch nie so stolz auf sich gewesen wie in diesem Moment. Das ist das erste Gespräch, das er mit jemand anderem als seinem Schöpfer in der Barmherzigkeit führt. Und es lässt sich ja so gut an.
49
Die Probleme, die Werner zeitlebens mit der übermäßigen Schleimproduktion hatte, waren ein unbedeutendes Ärgernis im Vergleich zu den elenden Qualen, die er derzeit erlitt.
Im Überwachungsraum beobachteten Victor, Ripley und
vier von Ehrfurcht ergriffene Mitarbeiter die sechs Monitore der Überwachungskameras, während der Chef der Sicherheitsabteilung auf vier Beinen im Isolierraum herumtollte. Die beiden Hinterbeine waren noch so wie zu Beginn dieses Zwischenfalls. Seine Vorderbeine wiesen zwar große Ähnlichkeit mit den hinteren auf, doch die Schulterpartie hatte sich drastisch verändert.
Die kräftigen Schultern erinnerten immer mehr an eine Raubkatze. Während Werner rastlos durch den Raum pirschte, setzte sich seine Metamorphose fort, und alle vier Beine begannen zunehmend wie die eines Katzentiers zu wirken.
Das faszinierte Victor, denn er hatte bei Werners Erschaffung ausgewähltes Genmaterial eines Panthers beigemischt, um seine Beweglichkeit und seine Schnelligkeit zu steigern.
Die Hinterbeine entwickelten einen langen Mittelfuß über den Zehen, eine Ferse auf halber Höhe der Gliedmaßen und ein Knie dicht unter dem Rumpf. Das Verhältnis zwischen Rumpf, Schenkel und Flanke veränderte sich, die Proportionen begannen sich zu wandeln.
Außerdem schmolzen die menschlichen Füße an den Hinterbeinen vollständig zu tatzenartigen Gebilden mit stumpfen Zehen, aus denen beeindruckende Krallen ragten. An den Vorderbeinen dagegen blieben, obwohl sich an den Fesseln Afterklauen bildeten, Elemente der menschlichen Hand bestehen, selbst wenn die Finger jetzt in Klauenscheiden und Klauen endeten.
All diese Verwandlungen zeigten sich dem Betrachter deutlich, da Werner kein Fell wuchs. Er war nach wie vor rosig und unbehaart.
Die Krise war zwar noch nicht vorüber – tatsächlich hatte sie vielleicht sogar gerade erst begonnen –, doch da Werner jetzt eingesperrt war und die Gefahr drohender Gewalttätigkeit somit gebannt, gelang es Victor, seine Beobachtungen mit kühler wissenschaftlicher Distanz anzustellen.
Im Lauf der Jahrzehnte hatte er häufig mehr aus seinen Rückschlägen gelernt als aus seinen zahlreichen Erfolgen. Ein Fehlschlag konnte so manchen echten Fortschritt nach sich ziehen, insbesondere seine Fehlschläge, die den Wissensstand oft weiter voran brachten als die größten Triumphe unbedeutenderer Naturwissenschaftler.
Victor war fasziniert von der kühnen Manifestation nichtmenschlicher Merkmale, die genetisch nicht angelegt worden waren. Zwar war die Muskulatur des Chefs der Sicherheitsabteilung durch Genmaterial von einem Panther verbessert worden, doch der Code, der zur Ausformung von Katzenbeinen führte, war nicht angelegt worden, und der Schwanz, der sich jetzt zu bilden begann, war dem Gencocktail erst recht nicht beigemischt worden.
Werners Kopf, der immer noch zu erkennen war, ging jetzt in einen Hals über, der dicker und sehniger war als alles, was jemals bei einem Menschen vorgekommen war. Die Augen schienen, wenn er sich einer Kamera zuwandte, die elliptischen Pupillen einer Katze zu haben, obwohl keine Gene, die etwas mit dem Sehvermögen von Katzen zu tun hatten, in seine Chromosomen eingebunden worden waren.
Das wies entweder daraufhin, dass Victor bei Werner etwas falsch gemacht hatte, oder aber darauf, dass Werners
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