Die Kreuzzüge
wenn sie erst in Jaffa angekommen waren, genauso gut landeinwärts weiterbewegen konnten. Von seinen Generälen wurde er darüber informiert, dass sowohl in Askalon als auch in Jerusalem Garnisonen von jeweils 20 000 Mann gebraucht wurden, und so beschloss er, eine der beiden Städte zu opfern.
Es ist allerdings auch möglich, dass Richard sich noch gar nicht auf ein definitives Ziel festgelegt hatte. Der Großteil seines Heeres war innerlich wohl unerschütterlich auf Jerusalem eingestellt, aber er selbst wollte sich möglicherweise eine gewisse Flexibilität erhalten; er hoffte, das Zwischenziel Jaffa zu erreichen und dann eine endgültige Entscheidung treffen zu können. Das mag damals wie eine vernünftige Strategie ausgesehen haben, in Wirklichkeit aber schob der König damit nur die Probleme vor sich her.
[492] DIE GRÖSSTE STUNDE
Richards nächstes Ziel war es, mit den Truppen des dritten Kreuzzugs – insgesamt zwischen 10 000 und 15 000 Mann – an der Küste Palästinas entlang in Richtung Süden zu marschieren, und zwar mindestens bis zur Hafenstadt Jaffa. Als er die relative Sicherheit Akkons hinter sich ließ, bestimmten weder die Aussicht auf Gebietseroberungen noch auch irgendwelche Schlachtpläne seine Taktik. Es ging ihm vielmehr vor allem ums Überleben – um das Leben seiner Soldaten und um seine militärischen Ressourcen, darum, dass die Kriegsmaschinerie unversehrt in Jaffa ankam, was an sich schon eine unerhört schwierige Aufgabe war. Richard wusste, dass sein Heer, während es sich auf dem Marsch befand, besonders angreifbar war und dass es das begehrteste Ziel für unaufhörliche Übergriffe der feindlichen Soldaten darstellte, die jetzt nach nichts so sehr lechzten wie nach fränkischem Blut. Außerdem musste er damit rechnen, dass Saladin versuchen würde, die Kreuzfahrer zu einer offenen Schlacht an einem Schauplatz seiner Wahl zu zwingen.
Unter diesen Voraussetzungen mag es zunächst so aussehen, als sei erhöhtes Tempo die Lösung, als wäre es für Richard am aussichtsreichsten gewesen, den 120 Kilometer langen Marsch nach Jaffa in der Hoffnung, dem Feind auszuweichen, so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Schließlich konnte man die Strecke in vier bis fünf Tagen bewältigen, und der König hatte nur wenig Zeit. Richard aber entschied sich im Gegenteil dafür, von Akkon in äußerst gemäßigtem, fast schon schleppenden Tempo aufzubrechen. Die damalige militärische Logik gab vor, dass für einen erfolgreichen Heeresmarsch Kontrolle das Allerwichtigste war: Die Truppen mussten strikt in enger Formation bleiben, alles hing von der kompakten Masse und dem Schutz ab, den ihre Rüstungen boten; nur so konnten sie dem Ansturm der Feinde und unaufhörlichem Beschuss standhalten. Richard dehnte bei seinem Aufbruch diese Theorie bis an ihre äußersten Grenzen aus.
Historiker haben die Heerführung Richards in diesem Stadium des Feldzugs gerühmt und gepriesen. Der Marsch von Akkon nach Süden wurde als »klassische Demonstration fränkischer Militärtaktik in Reinkultur« beschrieben, und man lobte die »bewundernswerte Disziplin und Selbstkontrolle« der Kreuzfahrer. In vielerlei Hinsicht war dies Richards Sternstunde als militärischer Befehlshaber. Besonders genial war sein [493] Einfall, den Vormarsch zu Lande mit dem Kurs seiner Flotte in Richtung Süden zu koordinieren. Das östliche Mittelmeer war fest in lateinischer Hand, und der König wollte nun seine Flotte möglichst nutzbringend einsetzen. Ein Heereszug auf dem Marsch war durch einen großen Gepäcktross eher behindert, konnte andererseits nicht auf Nachschub an Proviant und Waffen verzichten. Während nun die Landstreitmacht nur das mit sich trug, was an Grundnahrungsmitteln für zehn Tage gebraucht wurde, nämlich »Zwieback und Weizen, Wein und Fleisch«, wurde der größte Teil der Kriegsausrüstung auf Transportschiffe verladen, die mit dem Heer an vier Punkten zusammentreffen sollten – in Haifa, Le Destroit, Cäsarea und Jaffa –, während kleinere Schiffe mit weniger Ladung im gleichen Tempo wie das Heer direkt an der Küste entlangsegelten und für den regelmäßigen Nachschub sorgten. Ein Kreuzfahrer schrieb: »Es hieß also, dass sie in zwei Heeren vorrückten, eines zu Land, eines zu Wasser, denn es war nicht möglich, Syrien auf andere Art einzunehmen, solange die Türken das Land in ihrer Gewalt hatten.«
Richards Vormarsch in Richtung Süden, bei dem er sich praktisch direkt links und rechts
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