Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
brachte die Zuschauer zum Lachen, weil sie sich erst für die Schuld des Angeklagten aussprach und dann fragte, wo sie denn die zollfrei gehandelten Stoffe finden könne. Die Beamten beeilten sich, die Frau von der Tribüne zu entfernen. Vermutlich hatte sie sich mit der verdienten Silberterz neue Kleider kaufen wollen. Danach wurden der zweite und dritte Schöffe aufgefordert, ihre Meinung kundzutun, doch Eryne hörte sie kaum noch.
Mit einem Mal hatte sie schreckliche Kopfschmerzen. Es war, als legte sich ein eiserner Ring um ihren Schädel, und sie konnte an nichts anderes mehr denken als an den Schmerz. Eryne spürte Amanons Hand auf der Schulter und sah, dass er sie etwas fragte, aber sie verstand kein Wort und konnte nicht antworten. Verzweifelt presste sie sich die Hände an die Schläfen. Plötzlich brausten Stimmen in ihrem Kopf auf wie ein jäher Windstoß. Es war, als hockten ihr mehrere Menschen im Ohr und flüsterten ihr hastig immer wieder dieselben Worte zu.
»Cael. Wir leben«, wiederholte sie mechanisch.
Als wären die Stimmen damit zufrieden, verstummten sie, und Eryne kehrte in die Wirklichkeit zurück. Als Erstes sah sie Amanons verblüfften Gesichtsausdruck und seine weit aufgerissenen Augen.
In der Zwischenzeit war auf der Treppe des Gerichts ein Tumult ausgebrochen: Ein Beamter kämpfte mit einem der Schöffen, der unbedingt das Wort ergreifen wollte. Da ihre Kopfschmerzen mittlerweile nachgelassen hatten, erkannte Eryne den Mann mit dem wahnsinnigen Blick wieder. Im selben Moment riss er sich los und baute sich vor den Zuschauern auf, ohne die empörten Rufe des Richters zu beachten.
»Cael! Wir leben!«, brüllte er, die Hände zu einem Schalltrichter geformt.
Im nächsten Augenblick stürzten sich mehrere Bodonier auf den Mann. Mit einem Mal war Eryne bitterkalt. Sie begriff zwar nicht, was soeben geschehen war, aber es jagte ihr entsetzliche Angst ein. Die Stimme des Wahnsinnigen war eine derjenigen gewesen, die sie in ihrem Kopf gehört hatte.
Amanon hatte es plötzlich sehr eilig. Er packte die willenlose Eryne am Arm und zog sie mit sich.
Cael stolperte hinter ihnen her.
Auf Erynes Rat hin hatte Nolan die ersten Dekanten des Tages damit verbracht, das Testament zu lesen, das Corenn Amanon hinterlassen hatte. Die Lektüre verstörte ihn zutiefst, und obwohl er am Vorabend das Gegenteil behauptet hatte, glaubte er Corenn jedes Wort. Das Tagebuch machte ihm noch größere Angst als seinen Gefährten, denn so manches, was Corenn darin schilderte, war ihm vertraut. Er hatte die Niederschrift mit wachsender Anspannung gelesen und auf jeder Seite nach bestimmten Hinweisen Ausschau gehalten.
Doch er hatte umsonst gesucht. Die Ratsfrau erwähnte die Vorgänge in den Katakomben der Heiligen Stadt mit keinem Wort. Und das aus gutem Grund: Sie hatten erst begonnen, nachdem Corenn ihr Tagebuch verfasst hatte. Deshalb konnte sich Nolan auch nicht auf das Testament berufen, um sich seinen Freunden anzuvertrauen. Er war und blieb allein mit seinem Geheimnis und den Gewissensqualen.
Trotz seines festen Vorsatzes hatte Nolan am Abend zuvor wieder nicht den Mut aufgebracht, mit den anderen zu reden. Amanons Bericht hatte ihn so traurig gemacht, dass er keinen ganzen Satz hätte hervorbringen können, ohne in Tränen auszubrechen. Seine Worte hatten ihm vor Augen geführt, dass sein Fehler sehr viel schlimmere Folgen hatte, als er geahnt hatte. Nun waren nicht mehr nur einige wenige Menschen in Gefahr, sondern Zehntausende, vielleicht sogar noch mehr. Wenn der Dämon tatsächlich so mächtig war, wie Corenn behauptete, war dieser Gedanke nicht abwegig.
Jedoch konnte er das Geständnis nicht ewig aufschieben zumal sein Wissen den anderen vermutlich eine große Hilfe sein würde. Allerdings konnte es gut sein, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten, wenn sie von seinem Fehler erfuhren, und dieser Gedanke machte ihm Bauchschmerzen.
Wenn er weiter auf den richtigen Moment wartete, würde es irgendwann zu spät sein. Für ihre Eltern war es das jetzt schon. Als er noch gedacht hatte, die Valiponden und die Grauen Legionäre seien ihre Feinde, hatte er sich eingeredet, dass Reyan und Lana bald wieder auftauchen würden. Doch seit er von Sombre erfahren hatte, dem Dämon der Alten Religion, glaubte er nicht mehr, dass seine geliebten Eltern noch lebten, so schmerzlich der Gedanke auch war.
Als Nolan hörte, wie seine Schwester und die beiden Kaulaner zurück an Bord kamen und Keb sie
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