Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Hunderte von Menschen aus aller Herren Länder bevölkerten den Platz. Unter ihnen konnten sich auch Graue Legionäre, Valiponden oder sogar Züu verstecken.
»Jetzt müsste es gleich so weit sein«, sagte Amanon. »Vielleicht treffen wir ein paar Freunde.«
Eryne ließ den Blick über den Platz schweifen, doch obwohl sie sich nichts sehnlicher wünschte, konnte sie einfach nicht glauben, dass ihre Mutter, ihr Vater oder die Eltern eines ihrer Gefährten plötzlich aus der Menge auftauchen würden. Dass Nolan die beiden Kaulaner getroffen hatte, war schon unglaubliches Glück gewesen. Auf einmal fürchtete sie, sich Ärger einzuhandeln, wenn sie die Leute allzu unverhohlen anstarrte, und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Prozess. Soeben trug der Gerichtsschreiber den Fall vor, der heute verhandelt werden sollte.
Leider war das Rednerpult ziemlich weit entfernt, und wegen des Marktlärms drangen von den Worten des Gerichtsschreibers nur einzelne Fetzen an Erynes Ohr. Es schien um einen Verstoß gegen Zollgesetze zu gehen, ein schweres Verbrechen im Königreich Lorelien, dessen Reichtum sich auf den Handel gründete.
Obwohl sich Eryne nicht für Geschäfte interessierte, kannte sie die wichtigsten lorelischen Gesetze. Sie wusste zum Beispiel, dass auf Waren, die aus der Stadt ausgeführt wurden, keine Abgaben erhoben wurden. Hingegen musste man für Waren, die man in die Stadt einführen wollte, Zoll bezahlen. Wer gegen dieses Gesetz verstieß, wurde hart bestraft.
Der König räumte den Kaufleuten große Macht ein, weshalb in Lorelien seit langem Frieden herrschte. Selbst wenn den Händlern die Zölle zu hoch waren, hatten sie kein Interesse daran, eine Revolution anzuzetteln, bei der sie alles verlieren würden: ihre Geschäfte, ihre Marktbuden und natürlich auch ihre Kunden.
Doch das System hatte auch seine Schattenseiten: Außerhalb der Großstädte wurden immer wieder Schwarzmärkte abgehalten. Der heutige Angeklagte war dabei ertappt worden, wie er kaum drei Meilen vor dem Tor der Pilger hochwertige Stoffe verkaufte. Nach einem ermüdenden Wortgefecht zwischen Ankläger und Verteidiger, deren Plädoyers jeweils mit Trommelschlägen angekündigt wurden, begriff Eryne, dass sich der Mann mit der Behauptung herausreden wollte, er habe die Stoffe selbst hergestellt. Als Handwerker habe er das Recht, seine Waren in der Nachbarschaft zu verkaufen. Allerdings hatte er keinen Beweis für seine Aussage, denn er besaß nicht einmal einen Webstuhl.
Der Fall schien klar: Die Waren würden beschlagnahmt und der Schuldige zu einem Bußgeld verdonnert werden, das er sich nicht leisten konnte. Deshalb würde er zu zwei oder drei Jahren Kerker oder Frondienst auf einer Galeere verurteilt werden. Eryne fand den Prozess, um den ein solches Aufhebens gemacht wurde, eher enttäuschend. Die Zeremonie war sterbenslangweilig, und es dauerte geschlagene zwei Dezimen, bis das Gericht zu einem Urteil kam, das der königliche Richter sonst in einer Dezille fällte. Zudem war während der ganzen Zeit kein bekanntes Gesicht in der Menge aufgetaucht.
»Lasst uns gehen«, sagte Eryne. »Ich glaube, wir haben lange genug gewartet.«
»Ich würde gern noch eine Weile bleiben«, erwiderte Amanon. »Bald wird das Urteil verkündet. Erst dann wissen wir mit Sicherheit, dass heute niemand mehr kommt.«
Eryne war nicht besonders begeistert von dem Vorschlag, aber sie fügte sich Amanons Entscheidung. Er trug seine Anliegen immer so freundlich vor. Außerdem war sie ihm dankbar, dass er ihr das Tagebuch seiner Mutter zu lesen gegeben hatte, auch wenn es ihr eine schlaflose Nacht beschert hatte.
Schließlich erklärte der Gerichtsschreiber die Plädoyers für beendet. Nun begann die Auswahl der Schöffen. Sogleich drängten die Schaulustigen am Fuß der Treppe nach vorn. Sie versuchten, die Aufmerksamkeit der Beamten in den rotgrünen Roben zu erheischen, um sich eine Silberterz zu verdienen. Zwei Frauen wurden aufgefordert, die Stufen zum Gericht zu erklimmen. Ihnen folgten ein Alter und ein Mann, der nicht ganz bei Verstand zu sein schien. Zwar sollten die Schöffen den Richter nur beraten, aber Eryne fand das Auswahlverfahren trotzdem lächerlich. Da konnte man ja gleich die Würfel entscheiden lassen! Mindestens zwei der zehn Freiwilligen, die sich nun hinter dem Gerichtsschreiber aufstellten, wirkten nicht ganz klar im Kopf, und Eryne war gespannt, was sie zu dem Fall zu sagen hatten.
Die erste Frau, die das Wort ergriff,
Weitere Kostenlose Bücher