Die Krieger 1 - Das Erbe der Magier
Gefahr lauerte, würde er augenblicklich kehrtmachen und ins Matriarchat reisen, wo er hoffte, Corenn und Grigän zu finden. Und wenn auch dieser Plan scheiterte, dann blieb ihm nichts als … Dann wüsste er nicht mehr weiter. Der Gedanke, er könnte sowohl seine Familie als auch seine besten Freunde verloren haben, war unerträglich. Er fühlte sich hilflos, weil er nicht allein mit der Tragödie fertig wurde.
Wenigstens schien Niss das Getümmel der Großstadt nichts auszumachen. Das Mädchen war zwar genauso stumm und verschlossen wie immer, versank aber nicht noch tiefer in der Teilnahmslosigkeit. Wie daheim in Arkarien glitten ihre Augen, die hinter langen braunen Strähnen hervorlugten, über Menschen und Dinge hinweg, ohne sie wahrzunehmen. Hin und wieder riss sie ein herumstreunender Hund oder eine Katze aus ihrer Versunkenheit, und dann folgte Niss dem Tier mit dem Blick, bis es um eine Straßenecke verschwand oder Bowbaq sie sanft fortzog. Vorsichtshalber ließ er ihre Hand nicht mehr los.
Bowbaq musste sich beeilen. Aus Rücksicht auf seine Enkelin hatte er die Herberge erst im letzten Moment verlassen. Doch dann hatte er sich in den Straßen rings um das Stadttor verlaufen, in denen ein dichtes Gedränge herrschte. Bis er sich traute, eine Gruppe Maz anzusprechen und sie nach dem Weg zu fragen, war viel Zeit vergangen. Wenn sich Bowbaq richtig erinnerte, hatten sie vereinbart, sich kurz vor Mittag zu treffen, und es hatte längst zum dritten Dekant geläutet. Nach einer sechstägigen Reise wäre es ein Jammer, die anderen um wenige Dezillen zu verpassen.
Atemlos kamen sie schließlich auf dem Platz der Büßer an, auf dem es vor Menschen nur so wimmelte. Bei den Massen, die sich zwischen den Marktständen und vor dem Gerichtsgebäude drängten, hielt Bowbaq es für aussichtslos, seine Freunde zu finden, selbst wenn sie hier sein sollten. Niss’ schmale Finger drückten seine Hand und spornten ihn an, das Ganze hinter sich zu bringen. Nachdem er ein paar Schritte in eine beliebige Richtung gelaufen war, sah er plötzlich zwischen zwei Marktbuden hindurch eine Fontäne. Mit seinem massigen Körper bahnte er sich einen Weg durch die Menge auf die Mitte des Platzes zu. Er konnte an nichts anderes denken als daran, diesen furchtbaren Ort so schnell wie möglich wieder zu verlassen.
Als er und Niss den Brunnen erreichten, setzte sein Herz einen Schlag aus. Von den neun oder zehn Menschen, die auf dem Rand saßen, kannte er ein paar. Voller Hoffnung hielt Bowbaq nach seinen Freunden Ausschau. Deren Kinder wiederum rissen verblüfft die Augen auf und kamen ihm entgegen.
Diesen Moment würde Bowbaq nie vergessen. Vor lauter Wiedersehensfreude hob er Niss mit einem Arm hoch, packte Amanon mit dem anderen und wirbelte die beiden lachend durch die Luft.
Amanon ist Grigän wie aus dem Gesicht geschnitten!,
dachte Bowbaq, während der junge Mann ihn anflehte, ihn wieder abzusetzen. Kurz darauf erfüllte Bowbaq ihm diesen Wunsch, nur um das Manöver mit Cael zu wiederholen, der das Ganze wesentlich lustiger fand. Der Junge sah seinen Eltern ebenfalls sehr ähnlich. Mit dem kaulanischen Hemd, das er trug, gab es keinen Zweifel an seiner Herkunft. Als Nächstes hob Bowbaq Nolan in die Luft, obwohl dieser lautstark protestierte. Bei Eurydis! Was waren die Kinder groß geworden!
Bowbaq hielt erst inne, als er die missbilligende Miene einer jungen Frau sah, die nur Eryne sein konnte. Sie hatte Reyans edle Züge und Freundin Lanas anmutige Figur. Im Gegensatz zu den anderen hatte er sie seit über zwölf Jahren nicht gesehen. Auch an den stämmigen Burschen, der etwas abseits wartete, konnte er sich nicht erinnern, obwohl ihm das Gesicht vage bekannt vorkam.
Es dauerte eine Weile, bis Bowbaq einfiel, Niss wieder auf die Füße zu stellen. Als er den besorgten Gesichtsausdruck seiner Enkelin sah, hatte er plötzlich ein schlechtes Gewissen. Es war nicht mehr als ein Schatten in ihrem Blick, aber er vermochte mittlerweile mit der gleichen Sicherheit in den haselnussbraunen Augen zu lesen, mit der er in Arkarien den Schnee vorhersagte. Das Stirnrunzeln seiner Enkelin rief ihm ins Gedächtnis, warum sie nach Lorelia gekommen waren. Trotz der Wiedersehensfreude war Bowbaq klar, dass die Anwesenheit der jungen Leute kein gutes Zeichen war. Die Begeisterung, die er für einen kurzen Moment empfunden hatte, wich erneut der Angst.
»Seid ihr allein?«, fragte er.
Amanon nickte beklommen. Sein trauriges Gesicht sprach
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