Die Krieger 2 - Der Verrat der Königin
an ihren geistesabwesenden Gesichtsausdruck und den leeren, teilnahmslosen Blick gewöhnt. Jetzt hatte er einen völlig neuen Menschen vor sich: ein lebhaftes, fröhliches, bisweilen sogar schelmisches Mädchen. Und er musste sich eingestehen, dass er sie so noch viel hübscher fand.
»Willkommen im Irrenhaus, Kleine!«, sagte Keb und schnappte sich einen Teller. »Gesegnet sei dein neues Lebensjahr«, wünschten ihr Eryne und Nolan in der gebotenen Form.
Auch Cael gratulierte ihr, aber so leise, dass ihn nur Amanon und Eryne, seine unmittelbaren Tischnachbarn, hören konnten. Niss bekam es trotzdem mit und zwinkerte ihm zu, woraufhin er sich prompt schämte, so schüchtern gewesen zu sein. Doch nach allem, was sie über die Götter erfahren hatten, fiel es ihm schwer, das Wort »Segen« so selbstverständlich zu benutzen wie früher. Vielleicht würde er es nie wieder über die Lippen bringen. Jedes Mal, wenn irgendwo ein Gebet oder eine Verwünschung ausgesprochen wurde, wuchsen die Unsterblichen im Jal weiter heran. Einige blieben im Dara, andere stiegen ins Kam hinab und waren für alle Zeiten verdammt. So harmlos ein Segenswunsch zum Geburtstag auch sein mochte, die Folgen schienen ihm unabsehbar.
Aus den Töpfen duftete es so verführerisch, dass die Erben keine großen Reden schwangen, sondern sich mit dem Appetit ausgehungerter Reisender fröhlich über das Essen hermachten. Nur Zejabel wirkte bedrückt, aber selbst Cael begriff, dass sie ihr Zeit lassen mussten. Keb hingegen war zur Abwechslung überaus gesprächig und beschrieb immer wieder mit unverhohlener Schadenfreude, wie der Leviathan die Besatzung der feindlichen Schiffe in Stücke gerissen hatte. Irgendwann bat ihn Eryne, »aus Rücksicht auf die Kleine« das Thema zu wechseln, aber natürlich protestierte Niss sofort und sagte, sie sei alt genug für solche Geschichten. So drehte sich das Gespräch noch eine ganze Weile um die dramatischen Ereignisse.
»So geht das jedes Mal«, sagte Bowbaq lachend. »Sobald sie für ein paar Tage aufwacht, lässt sie einen kaum zu Wort kommen!«
Erst als plötzlich Schweigen eintrat, ging ihm auf, was er gesagt hatte. »Diesmal wird sie keinen Rückfall haben«, versprach er, mehr an sich selbst als an die anderen gewandt. »Da ist sie sich ganz sicher. Sie ist geheilt.«
»Was genau ist ihr denn eigentlich zugestoßen?«, fragte Eryne. »Ihr habt einen Unfall erwähnt, der sich vor drei Jahren ereignete?«
»Es liegt daran, dass sie ein Erjak ist, wie ich«, erklärte Bowbaq. »Sie kann in Gedanken mit Tieren sprechen und …«
»Vor allem kann sie selbst sprechen!«, unterbrach ihn Niss mit gespielter Empörung. »Wenn du meine Geschichte hören willst, Eryne, dann frag doch einfach mich!« Ihre unverblümte Art verblüffte Cael. Nicht einmal Amanon hatte nach drei gemeinsamen Tagen gewagt, Eryne zu duzen, und das, obwohl sie gleichaltrig waren. »In Ordnung«, sagte die Lorelierin mit einem Lächeln. »Also, was ist dir zugestoßen, Niss vom Vogelklan?«
Das Mädchen wartete, bis alle Blicke auf sie gerichtet waren. Offenbar genoss sie es, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. »Es ist eigentlich ganz einfach«, sagte sie. »Ich war in den Tiefen Geist eines Eichhörnchens eingetaucht und kletterte fröhlich in den Zweigen herum, als plötzlich ein Anator angeschossen kam und dem Tier den Kopf abbiss. Seither steckte mein Geist im Tiefen Traum fest. Aber das ist jetzt vorbei!« Sie erntete nichts als verwirrtes Schweigen und sechs verständnislose Blicke. »Was faselt sie da?«, knurrte Keb. »Ich dachte, hier wird Itharisch gesprochen!«
»Ihr Geist befand sich im Körper des Eichhörnchens«, sprang Bowbaq seiner Enkelin bei. »Ich weiß, das hört sich seltsam an, aber … Sie hat den Tod tatsächlich erlebt. Es gibt Erjaks, die sich davon nicht mehr erholen.«
»Ich hatte Glück«, bestätigte Niss.
»Du kannst tatsächlich in den Körper eines Tiers schlüpfen?«, fragte Amanon nachdenklich.
»Nur bei Säugetieren«, entgegnete sie. »Und selbst dann klappt es nicht immer.«
»Und du kannst das auch, Bowbaq?«, fragte Amanon weiter. »Ich habe es vor langer Zeit ein paarmal getan, als ich lernte, meine Erjak-Kräfte anzuwenden. Aber ich tue es nicht gern. Die Tiere drehen völlig durch, sobald die Verbindung gelöst wird, und außerdem ist es gefährlich. Niss hätte nie heimlich damit weitermachen dürfen«, sagte er mit einem strengen Blick auf seinen Schützling. Niss setzte ein
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