Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter
Eryne seinem Einfluss entziehen.«
»Das würde nichts ändern«, erwiderte Nol. »Sie wird erst erwachen, wenn ihre Entwicklung abgeschlossen ist oder wenn sie aus eigenem Willen ihre Vollendung hinauszögert, um noch etwas länger unter den Menschen zu verweilen. Eigentlich kann nur sie selbst diese Entscheidung treffen, aber Ihr könnt versuchen, zu ihr durchzudringen.«
»Wie denn?«, schrie Reyan außer sich vor Wut. »Egal, was wir tun, sie reagiert nicht! Gebt uns wenigstens einen Hinweis!«
Schweigend warteten die Erben auf die Antwort. Auch Amanon trat wieder zu ihnen und betete insgeheim um ein Wunder, doch seine Hoffnung wurde enttäuscht.
»Es tut mir leid«, sagte Nol. »Ich kann Euch nicht helfen. Offen gestanden bin ich nicht einmal sicher, ob man sie überhaupt noch wecken kann. Ihre Entwicklung ist schon weit fortgeschritten.«
Niss schmiegte sich eng an ihre Mutter, aber selbst Robes warme, tröstliche Arme konnten die Kälte, die ihr in die Glieder kroch, nicht vertreiben. Die Nacht im Dara war empfindlich kühl und schien einfach kein Ende nehmen zu wollen. Nachdem sie noch eine Weile vergeblich versucht hatten, Eryne aufzuwecken, hatten die Erben ihr weiteres Vorgehen besprochen und beschlossen, erst einmal im Jal zu bleiben. Da sich Erynes Zustand offenbar auch in der Welt der Menschen nicht bessern würde, zogen sie es vor, im Schutz des Dara abzuwarten. Sie hatten vereinbart, abwechselnd an Erynes Seite zu wachen und unaufhörlich auf sie einzureden, in der Hoffnung, damit irgendetwas in ihr anzurühren. Um die Zweisamkeit dieser Momente nicht zu stören, hatten die anderen ihr Nachtlager in rücksichtsvoller Entfernung aufgeschlagen. Seit rund zwei Dekanten hielten sie nun schon reihum Wache, und Niss hatte das Gefühl, es würde bis in alle Ewigkeiten so weitergehen.
Doch nicht nur die quälende Sorge um Eryne beschäftigte sie, sondern auch die ersten Anzeichen der sonderbaren Wirkung des Jal: Sie verspürte weder Hunger noch Durst, obwohl sie seit ihrer Ankunft – und die lag, wie die Erben von Nol erfahren hatten, schon mehrere Tage zurück – nichts zu sich genommen hatte. Dabei hatten die Erben geglaubt, nur wenige Dekanten verschlafen zu haben! Einige machten dem Hüter daraufhin bittere Vorwürfe, weil er sie nicht geweckt hatte: Vielleicht wäre Eryne dann noch zu retten gewesen. Doch Nol behauptete, nicht in den Lauf der Dinge eingreifen zu können, und verschwand, um einer seiner rätselhaften Tätigkeiten nachzugehen. Die Erben liefen ihm nach, um ihn aufzuhalten, doch nachdem er eine Senke durchschritten hatte, war er wie vom Erdboden verschluckt.
Seither waren die Erben mit ihrem Kummer und ihrer Angst allein. Untereinander sprachen sie kaum ein Wort, denn alle waren in Gedanken bei Eryne. Die ältere Generation wusste noch so gut wie nichts über die Abenteuer der jüngeren, aber sie waren stillschweigend übereingekommen, alle Fragen auf später zu verschieben. Keiner hätte es übers Herz gebracht, in der Vergangenheitsform von Eryne zu sprechen, selbst wenn es nur darum ging, von ihrer Reise zu berichten und ihre Tapferkeit zu rühmen.
Lana, Reyan, Nolan, Corenn, Amanon und einige andere waren bereits bei Eryne gewesen und hatten versucht, sie aus ihrem todähnlichen Schlaf zu reißen. Sie alle kehrten mit verhärmten, kreidebleichen Gesichtern und geröteten Augen zurück. Manche waren länger, andere nur kurz geblieben, je nachdem, wie sehr sie auf ein Wunder hofften oder wie schnell sie an Erynes Besinnungslosigkeit verzweifelten. Jedes Mal stand der Nächste sofort auf, um den Platz an Erynes Seite einzunehmen, und die besonders Ungeduldigen traten schon vorher zu ihr, wenn sie das Warten nicht mehr ertrugen. Niss wollte ebenfalls helfen, doch als sie an die Reihe kam, verließ sie der Mut, und sie schmiegte sich noch fester an ihre Mutter.
Am schlimmsten war, dass das Ganze nach und nach einer Totenwache zu ähneln begann, und Niss brachte es nicht über sich, Abschied von ihrer Freundin zu nehmen. Es durfte nicht sein, dass sie Eryne so schnell aufgaben.
Außerdem brauchte Niss noch etwas Zeit, um aus einer ersten verrückten Idee einen Plan zu entwickeln. Ihr Entschluss stand fest: Wenn bis Tagesanbruch nichts geschah, würde sie mithilfe ihrer Erjak-Kraft versuchen, in Erynes Geist einzudringen und sie wachzurütteln.
Im Grunde genommen war das Irrsinn, das wusste Niss genau. Schließlich war sie schon an ihre Grenzen gestoßen, als sie versucht hatte,
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