Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter
hingeben.
Sie musste nur die Augen schließen, um sich jene Augenblicke in Erinnerung zu rufen, in denen sie von Zärtlichkeit und Leidenschaft für ihn erfüllt gewesen war. Augenblicke, die in jener Nacht in der Scheune gegipfelt hatten, nachdem ein paar Kerle ihr beinahe Gewalt angetan hatten. Damals hatte sie eine ganz neue Seite an dem sonst so besonnenen Amanon entdeckt: In seinen Adern floss das Blut eines Ramgrith, der keinen Kampf scheute und keine Gnade walten ließ, wenn es darum ging, die Seinen zu beschützen. Nie würde Eryne vergessen, wie erbarmungslos Amanon ihre Angreifer niedergemetzelt hatte. Und sie hatte gewollt, dass er die Rohlinge tötete. Als sie später in seinem Bett erwacht war, in das Amanon sie fürsorglich und nun wieder voller höflicher Zurückhaltung gebettet hatte, war ihr Begehren entflammt.
Offenkundig erwiderte er ihre Gefühle, und sie vermutete, dass er auch ihre Zweifel teilte. Er musste sich ebenfalls fragen, wer der Vater ihres Kindes war und was aus ihr und dem Säugling würde, wenn ihre Entwicklung zur Göttin vollendet war. Vielleicht würde sie diesen Tag ohnehin nicht mehr erleben …
Womöglich waren die Erben schon in der nächsten Dekade tot. Schließlich hatte Nolan im Karu diese grauenvolle Vision gehabt! Was brachte es da noch, Zukunftspläne zu schmieden? Durfte sie Amanon im Angesicht des Todes ihre Liebe gestehen?
Eryne beschloss, ihre Gefühle zu verschweigen, um es ihm nicht noch schwerer zu machen. Sie versuchte sich einzureden, dass alles gutgehen würde, dass die Erben Sombre besiegen würden, dass sie weiterhin ein Mensch bleiben würde und ihre Eltern und Freunde mit dem Leben davonkämen. Doch vorerst wollte sie Amanon keinen zusätzlichen Kummer bereiten.
Als Kebree zu ihr trat und sagte, er müsse mit ihr reden, stieß sie einen tiefen Seufzer aus.
Offenbar hatte er gewartet, bis sich die meisten zum Schlafen in die Höhle zurückgezogen hatten. Eryne hätte ihm die Bitte am liebsten abgeschlagen. Sie fürchtete, Keb würde ihr doch seine Liebe gestehen, obwohl er ihr in Wallos die Freundschaft angetragen hatte. Aber da ihr keine Ausrede einfiel, nickte sie widerstrebend.
Keb reichte ihr die Hand, half ihr hoch und zog sie mit sich. Zu ihrem Erstaunen ging er auf Amanon zu.
Der Kaulaner hatte die Szene aufmerksam verfolgt. Er bedachte Keb mit einem derart finsteren Blick, dass Eryne schon Angst bekam, die beiden Männer würden aufeinander losgehen. Beunruhigende Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Wollte Keb ein für alle Mal Klarheit schaffen? Würde er sie zwingen, sich zwischen ihnen zu entscheiden? Wollte er Amanon vielleicht gar zum Duell herausfordern? Man musste nicht aus einem Kriegervolk stammen, um auf eine solche Idee zu verfallen. Selbst in Lorelia kam das häufig vor!
Doch Keb wirkte alles andere als kämpferisch. Er bat Amanon lediglich mitzukommen, und dieser folgte ihm mit gerunzelter Stirn. Auch er fragte sich gewiss, was Keb von ihnen wollte, nicht anders als die Erben, die noch wach waren und den dreien neugierig nachsahen.
Weit gingen sie nicht. Nach kaum zehn Schritten blieb Keb stehen und wandte sich zu seinen Gefährten um. Zu ihrer Beruhigung erkannte Eryne, dass er eher verlegen als grimmig dreinblickte. Er schien nicht vorzuhaben, ihr eine Szene zu machen oder Amanon zu beleidigen.
»Im Palast meiner Mutter bin ich jemandem begegnet. Einer Frau. Sie heißt Lyn’a’min und ist eine entfernte Verwandte von Gors dem Zimperlichen, dem einstigen König der wallattischen Klans.«
»Hat sie dich gesehen?«, fragte Amanon besorgt. »Kann man ihr vertrauen?«
»Dafür bürge ich mit meinem Leben. Wir waren zwei Jahre lang verlobt. Eigentlich sollte ich längst verheiratet sein«, fügte er grinsend hinzu.
Erleichterung überkam Eryne. Sie ahnte, was der Prinz ihnen anvertrauen wollte, und um ihn zu ermutigen, schenkte sie ihm ein strahlendes Lächeln – ein rein freundschaftliches Lächeln.
»Sie ist blind«, fuhr Keb fort. »Und zwar durch mein Verschulden. Eines Tages gingen wir in der Nähe der Grenze spazieren und stießen auf eine Bande Tuzeener. Sie hatten uns noch nicht gesehen, und ich wollte sie unbedingt in die Flucht schlagen, obwohl Lyn’a mich anflehte, Verstärkung zu holen. Doch ich hörte nicht auf sie, sondern marschierte geradewegs auf die Tuzeener zu und brüllte sie an, dass sie verschwinden sollten. Sie waren zu viert und stürzten sich ohne Vorwarnung auf uns. Ich konnte sie zur Strecke
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