Die Krieger 5 - Das Labyrinth der Götter
bringen, aber Lyn’a wurde am Kopf getroffen und verlor die Besinnung. Als sie am nächsten Tag in ihrem Dorf erwachte, war sie blind, und ich stahl mich wie ein Feigling davon, weil ich glaubte, sie würde mir niemals verzeihen.«
Erynes Lächeln gefror. Nun verstand sie, warum er sich oft so rüpelhaft aufführte – er trug eine große Schuld mit sich herum. Sie hatte die ganze Zeit geglaubt, er leide darunter, Saats Sohn zu sein. Doch das Unglück seiner Verlobten musste noch viel schwerer auf seinem Gewissen lasten, hatte doch sein eigenes Tun zu der Tragödie geführt.
»Ich habe mir drei Jahre des Glücks entgehen lassen«, sagte Keb kopfschüttelnd. »Lyn’a liebt mich offenbar immer noch, das hat sie mir heute deutlich gemacht. Ihretwegen habe ich beschlossen, bis zum bitteren Ende an eurer Seite zu kämpfen. Sollte sie ihr Augenlicht eines Tages zurückgewinnen, möchte ich nicht, dass sie eine Welt erblickt, die von einem Dämon beherrscht wird!«
Bei diesen Worten sah er Eryne in die Augen, und sie erwiderte seinen Blick voller Zuneigung.
»Ich freue mich aufrichtig für dich, Kebree. Und ich wünsche euch beiden, dass ihr bald wieder vereint seid.«
Sie wagte nicht, Amanon anzusehen. Wie nahm er die Neuigkeit auf, dass Keb und er nun keine Nebenbuhler mehr waren?
»Das ist noch nicht alles«, murmelte Keb. »Ich muss euch noch etwas sagen. Ihr werdet sicher wütend sein, weil ich es so lange verschwiegen habe, aber ich musste erst in Ruhe darüber nachdenken und mich mit der Sache abfinden. Lyn’a wiederzusehen, hat mir sehr geholfen.«
Eryne erstarrte, und auch Amanon stand stocksteif da. Kam jetzt die schlechte Nachricht, nachdem Keb ihnen von seinem wiedergefundenen Glück berichtet hatte? Welches Geheimnis hütete er?
»Wisst ihr noch, als wir uns im Karu fragten, ob der Biss der Undinen gefährlich sei? Ich bin kurz vor Nolan ans Ufer des Flüstersees getreten, und auch ich hatte eine Vision.«
»Was für eine Vision?«, fragte Amanon nervös. »Noch ein Unglück? Eine weitere Katastrophe?«
Ein leises Lächeln erschien auf Kebs Lippen und weitete sich zu einem breiten Grinsen aus. »Das müsst ihr selbst entscheiden«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Jedenfalls haben mir die Undinen offenbart, dass ich nicht der Vater eines gewissen Kindes bin. Was ihr damit anfangt, überlasse ich euch.«
Er wandte sich ab und stapfte zurück zur Höhle, doch Eryne bemerkte es schon nicht mehr. Tränen verschleierten ihr die Sicht, und ihr wurde ganz schwindelig. Als Amanon nach einer Weile wagte, sie behutsam mit den Fingerspitzen zu berühren, durchzuckte es sie wie ein Blitz. Im nächsten Moment fiel sie Amanon um den Hals, und als sie einander zärtlich und schüchtern zu küssen begannen, schmeckten sie das Salz ihrer Tränen, die sich auf ihren Lippen vermischten.
Die ganze Nacht konnten sie nicht voneinander lassen. Sie legten keinen Treueschwur ab, offenbarten einander nicht ihre Liebe und sprachen nicht von der Zukunft. Da es in der Höhle keinen Winkel gab, an dem sie allein sein konnten, hielten sie einander einfach nur im Arm und waren froh und dankbar, dem Schicksal, das es nicht immer gut mit ihnen meinte, ein paar kostbare Augenblicke des Glücks abzuringen.
Während sie in der zugigen Höhle in einem fremden Land auf der nackten Erde lag, dachte Eryne, dass sie sich noch nie so wohlgefühlt hatte. Die einstige lorelische Hofdame hätte allen Schmuck, alle Kleider, alle Paläste der Welt und auch ihre göttliche Unsterblichkeit dafür gegeben, jede Nacht in den Armen ihres Geliebten einschlafen zu dürfen.
*
Mit einem wilden Triumphgeheul, das noch in den hintersten Winkeln des Palasts zu hören war, erwachte er aus seinem Dämmerschlaf. Doch keine Wachen und keine Diener eilten herbei, um nach ihm zu sehen. Die Palastbewohner hatten sich längst an die Schreie des Dämons gewöhnt, die bisweilen durch die Flure hallten. Niemand wagte es, die Königin darauf anzusprechen, vor allem nicht, seit sie Sombre zu ihrem engsten Vertrauten gemacht hatte. Es ging das Gerücht, dass sie ihm den Thron übergeben wolle, und die wenigen Anwärter auf die lorelische Krone, die sich öffentlich darüber empörten, waren samt und sonders eines grausamen Todes gestorben. So vermieden es die Diener und Palastwachen, sich Sombre zu nähern oder sich über seine Umtriebe das Maul zu zerreißen. Die meisten hätten den Palast am liebsten verlassen, doch sie fürchteten, dadurch Agnenors Zorn auf
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