Die Kriegerin der Kelten
danach?«
»Und danach ist Cunomar vielleicht so weit, das Kriegsheer auch ohne fremde Hilfe führen zu können.«
Auch das hatte man Breaca an diesem Morgen bereits erklärt, allerdings mit weniger Überzeugung, als Valerius sie nun in seiner Stimme trug. Aber hier in der vordersten Reihe eines Kriegsheeres war einfach nicht der richtige Ort und auch nicht der richtige Zeitpunkt, um eine Diskussion zu beginnen. Schließlich entgegnete Breaca lediglich: »Darüber brauchen wir uns jetzt noch nicht zu beraten.«
Abermals verfielen sie beide in Schweigen und beobachteten den Himmel. Zwischenzeitlich war die Sonne bis über die Baumwipfel aufgestiegen, schien aber noch immer wie gefangen hinter dem ihr unablässig folgenden Dunstschleier. Als sie dann so hoch am Himmel stand, dass die Schatten eigentlich bereits über den halben Tempelhof hätten reichen sollen, flüsterte Valerius: »Wenn die da jetzt nicht bald mal rauskommen, müssen wir...« Abrupt hielt er inne. Mit einem Mal schien das Warten ein Ende zu haben, zumindest der erste Teil dessen, worauf die Krieger schon so lange lauerten.
Lautes, metallisches Dröhnen hallte durch die morgendliche Stille, ganz ähnlich dem Klang eines Schildes, auf den ein Krieger einen kräftigen Hieb mit seinem Schwert setzte, um damit den Göttern seinen Gruß zu entbieten. Es folgte ein scharfes Kratzen, wie Metall, das über Stein schabte, und langsam wurde die Tempeltür einen schmalen Spalt geöffnet. Die Pforte musste sehr schwer sein. Außerdem schienen die hinter ihr Verborgenen sich zu fürchten, sie allzu rasch aufzustoßen.
Für die Zeitspanne eines kurzen Atemzugs legte sich abermals tiefe Stille über den Hof. Plötzlich war das schrille Weinen eines kleinen Kindes zu hören. Wieder folgte angespanntes Warten, bis schließlich vier Mädchen in besudelten Tuniken und mit schmutzig blondem Haar aus dem Tempel gestolpert kamen. Blinzelnd schauten sie in das matte Wolkenlicht. Die vier standen mitten auf den weißen Steinstufen, halb nackt und verdreckt und mit Lumpenfetzen oder aus Holz geschnitzten Tieren in den Armen, die sie ängstlich an sich pressten. Starr sahen sie den Kriegern entgegen, die sie in einem riesigen Kreis umringten. Die Kinder weinten. Leise, doch hemmungslos, mit laufenden Nasen und großen, geröteten Augen.
Vier Mädchen, keines von ihnen älter als Graine. Nur vier. Nicht mehr.
Mit donnerndem Hall wurde die bronzene Tür wieder geschlossen.
»Aber da drinnen müssen doch noch mehr Kinder sein«, ergriff Cygfa schließlich das Wort.
»Nein«, widersprach Valerius.
»In jedem Fall brauchen sie Hilfe«, stellte Breaca fest. Airmid war bereits über die niedrige Mauer geklettert und marschierte auf den Tempel zu. Ganz allein und in aufrechter Haltung schritt sie unter dem alten Mond und der jungen, doch noch verhangenen Sonne durch den feinen Morgennebel. Der Kalkstein des Tempels ließ alles Licht mattweiß erscheinen. Mit blassem Glanz glitt es auch über Airmids Haar, ließ es beinahe silbern aufleuchten, sodass sich in ihrer Erscheinung das Zeichen Nemains zeigte. Sie schritt zielstrebig weiter, den lang gestreckten Innenhof entlang, vorbei an einem nur grob zurechtgehauenen Altarstein, der noch nicht einmal seine Weihe erhalten hatte, und weiter bis an den Fuß der Treppe. Es dauerte eine Weile, bis die Augen der Mädchen sich an das Licht gewöhnt hatten. Und kaum dass sie Airmid entdeckt hatten, drehten sie sich angstvoll kreischend von ihr fort und zurück in Richtung der bronzenen Pforten. Vielleicht wären sie geradewegs wieder in die trügerische Sicherheit des Tempels zurückgerannt, wären die Tore nicht bereits wieder verschlossen gewesen. Sofort blieb Airmid stehen, ging in die Hocke und neigte den Kopf zur Seite. Ihre Lippen bewegten sich. Was sie jedoch sagte, war zu leise, als dass man es vom Standort der Krieger aus hätte verstehen können. Nur ein schwaches Murmeln drang bis zu ihnen und dann das plötzliche Abebben der Schreie der Kinder. Schließlich gingen diese sogar langsam auf Airmid zu und ließen sich von ihr in die Arme schließen.
Schon bald erhielt Airmid Unterstützung von Lanis, einer Träumerin der Trinovanter, die dem Stamme der Bodicea wohlbekannt war. Sowohl Airmid als auch Lanis hoben je eines der Mädchen hoch und führten das andere an der Hand. Nur vier Mädchen, obwohl doch sämtlichen Frauen und Kindern im Inneren des Tempels Amnestie und sicheres Geleit versprochen worden waren.
Nur vier.
Die
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