Die Kriegerin der Kelten
erhoffte.
»Du bist von nun an der neue Anführer des Heeres deiner Mutter. Alle, die zurzeit noch mir folgen, werden mir auch in Zukunft folgen. Aber ich wiederum werde fortan allein dir folgen. Du brauchst also nur noch zu sagen, was du vorhast, und wir werden es ausführen.« Valerius’ Stimme klang vollkommen tonlos.
Plötzlich schien irgendetwas die Krieger vor der Tempelpforte aufzustören. Lautes Stimmengewirr war zu hören, schrille Töne, wie sie sonst nur die Vögel in der Morgendämmerung erklingen ließen. Mit einem Mal hatte Cunomar nur noch einen Wunsch. Er wollte hinaus in die frische Luft, wo bloß der vertraute Gestank der gerade erst Verstorbenen herrschte.
Cunomar stemmte die Handflächen auf das Holz des Altartisches. »Damit wir uns darüber im Klaren sind. Du hast mir gerade angeboten, die gesamte Führerschaft über das komplette Kriegsheer allein mir zu übertragen, und dass...«
»Julius?«, ertönte in diesem Moment Longinus’ Stimme von der Tempelpforte her, und in ihr schwebte ein warmer Unterton echter Zuneigung. Einer Zuneigung, die noch wesentlich tiefer ging als die unverbindliche Intimität einer Seite an Seite durchkämpften Schlacht oder einer gemeinsam verbrachten Nacht. Und auch eine Art Fürsorge schwang darin mit, ein Erkennen der Erschöpfung des anderen und Nachsicht mit dessen womöglich voreilig getroffener Entscheidung. Vor allem schien diese Stimme Hoffnung zu verheißen in einer scheinbar hoffnungslosen Welt.
All dies hatte Cunomar zwar wahrgenommen, dann aber fast unmittelbar darauf auch schon wieder vergessen. Denn er hatte nicht sofort begriffen, dass der Thraker Valerius angesprochen hatte, der doch eigentlich Bán hieß …
»Julius. Deine Schwester ist hier.«
Valerius hatte gehofft, dass er dort, gegen die Wand gelehnt, vielleicht einen kurzen Moment hätte einnicken dürfen, um sich dann mit einer kleinen Mahlzeit zu stärken und anschließend vielleicht ein wenig zu schlafen. Erst danach hatte er sich mit den Folgen jener Entscheidung beschäftigen wollen, die er getroffen hatte, als er sah, wie seine Schwester langsam das Schlachtfeld verließ.
Nun aber, da er sie früher als erwartet wieder zurückkehren sah, stemmte er sich mühsam vom Boden hoch. Doch sein Körper verweigerte ihm seinen Dienst. Deutlich langsamer als normal und mit steifen Gliedern richtete er sich schließlich auf, während er sich mit dem Rücken kraftlos an die Wand lehnte.
In ähnlich müder Haltung lehnte auch Breaca in der Tür. Zum ersten Mal, seit der Krieg begonnen hatte, trug sie nun wieder einen Umhang in Eceni-Blau, den sie vorn mit einer Brosche in der Form des Schlangenspeeres zusammengefasst hatte, von der wiederum ein paar alte Wollstränge herabhingen. Neben ihr stand Stone, der erstaunlicherweise weniger zu lahmen schien als noch vor wenigen Tagen, und auf Airmids Gesicht zeigte sich sogar ein Lächeln, eine Geste, von der Valerius gedacht hatte, dass sie sie schon längst verlernt hätte.
»Und, seid ihr zu einer Entscheidung gekommen?« Die Stimme der Bodicea füllte den gesamten Tempel aus, mit einer Kraft, die sie vorher nicht besessen zu haben schien.
»Nein«, entgegnete Cunomar.
»Doch«, widersprach Valerius.
Breaca ließ den Blick vom einen zum anderen schweifen. Plötzlich hatte ihr Lächeln wieder jenen scharfen Zug an sich, wie Valerius ihn seit seiner Kindheit nicht mehr an ihr hatte beobachten können, außer einmal, damals, als er gerade aus Gallien wiedergekehrt war und Breaca ihn auf seiner Schiffsreise begleitet hatte. Er hätte weinen mögen. Vielleicht weinte er in diesem Augenblick auch tatsächlich, er wusste es nicht und kämpfte den Impuls nieder, nun die Hand an die Wange zu heben, um zu fühlen, ob diese bereits von seinen Tränen benetzt war.
Mit amüsiert klingendem Tonfall entgegnete seine Schwester: »Soll ich mich vielleicht wieder zurückziehen, so lange, bis ihr beide euch über die richtige Antwort geeinigt habt?«
»Was?«, fragte Valerius leise.
»Ich habe soeben das Schlachtfeld verlassen. Alle haben es gesehen. Sollte nun also der eine oder andere von euch seinen Anspruch auf die Anführerschaft des Heeres geltend machen wollen, so habe ich von nun an kein Recht mehr, ihm diese noch länger zu verwehren.«
Mittlerweile begriff Valerius, dass er nicht geweint hatte, sondern nur erschöpft war. Ein heiseres Lachen stieg aus seiner Kehle auf. »Ehe du so etwas aussprichst, solltest du dich besser erst einmal
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