Die Kriegerin der Kelten
Corvus’ Erfahrung, derlei Gefahren und Entbehrungen nicht so einfach durch einen Blick in die großen braunen Augen eines - irgendeines - Jungen wieder wettmachen. Wenngleich es da natürlich auch in Corvus’ Erinnerung einen gewissen Mann mit braunen Augen gegeben hatte. Und dachte Corvus über diesen Mann etwas genauer nach, so kam er zu der Erkenntnis, dass dieser und alles, was er Corvus geschenkt hatte, sogar einen Großteil von Corvus’ Lebensweg mitbestimmt hatte, sodass man das Endergebnis schließlich womöglich doch als eine Art Vergeltung für die erlittenen Qualen bezeichnen könnte. Zumindest, wenn man die ganze Entwicklung unbedingt aus einem solchen theatralischen Blickwinkel betrachten wollte.
In Corvus’ Vorstellung flog eine kleine bronzene Statue aus seinem Marschgepäck auf und erhob sich mit sanften Flügelschlägen über das fast schon an eine Fata Morgana erinnernde Bild, welches die marschierenden Männer von oben betrachtet abgaben. Das eine, aus schwarzem Gagat gefertigte Auge des Horus schien Corvus zuzublinzeln und verwandelte sich dann in das Auge eines Alexandriners, dessen Blick stets voller Weisheit und Fürsorge gewesen war und der viel zu früh hatte sterben müssen. Der Vogel des Horus stieg hoch in die Lüfte, bis von ganz oben plötzlich die Stimme jenes Alexandriners herabschallte: Was nützt es einem Mann, wenn er versucht, den Göttern gleich zweier verschiedener Welten zu dienen?
So hatte er schon immer gesprochen, Corvus’ einstiger Vertrauter, hatte einen in seiner leicht obskuren Ausdrucksweise stets vor neue Rätsel gestellt, mit einer Stimme, die so glatt war wie Quecksilber und süß wie Ambrosia. Die Antworten auf seine Fragen ließen sich im Übrigen nie dort finden, wo man sie als Erstes vermutet hätte.
Fest entschlossen, nun nicht in Tränen auszubrechen, ließ Corvus seine Gedanken weiterschweifen, bis diese irgendwann wieder bei jenem schwarzäugigen, ernsten und nachdenklichen Jungen aus dem Stamme der Eceni anlangten. Corvus dachte an den qualvollen Weg, den dieser Junge hatte zurücklegen müssen, um schließlich den Rang eines Offiziers in der römischen Kavallerie bekleiden zu dürfen, erinnerte sich zugleich aber auch an die Wildheit, mit der dieser zu kämpfen pflegte und für die man ihn auf beiden Seiten des in Britannien wütenden Krieges fürchtete. Schließlich rief man ihn in Rom als Verräter aus, weil er den Fehler begangen hatte, sich mit Eid und Ehre an einen Kaiser zu binden, der schon wenige Tage später sterben sollte.
Corvus dachte an den Mann, zu dem dieser Junge sich schließlich entwickelt hatte, und an den Anblick, den dieser geboten hatte an jenem bewussten Tag, als er auf seinem schwarz-weiß gescheckten Hengst thronte mit dem Prokurator von ganz Britannien zu dessen Hufen. Blanke Mordlust war in diesem Moment in den Augen des einstigen Eceni aufgeflammt, und in seinem Herzen hatte eine seltsame, nie zuvor an ihm wahrgenommene Glut geschwelt.
An sein Schlachtross gewandt, murmelte Corvus: »Aber Valerius hat sich doch Mithras, dem Stiermörder, verschworen. Und auch wenn er die Welt, in der er Mithras begegnete, weit hinter sich zurückgelassen hat, so dient er doch nur diesem einen Gott. Die Götter der Eceni würden Valerius also ohnehin nicht als ihren Diener annehmen.«
Aber warum denn nicht?
Seine Stute legte noch genau fünf Schritte zurück, während der Corvus in seiner stillen Träumerei verharrte, als seine Welt mit einem Mal so jählings in Stücke zerbrach wie ein Glas, das gegen eine weiße marmorne Wand geschleudert wurde. »Sabinius! Gib Alarm, und zwar sowohl an die Truppen vor uns als auch hinter uns!«
Corvus erkannte seine eigene Stimme kaum wieder. Scheinbar aus dem Nichts hatte er plötzlich wieder zu jener scharfen Artikulation und Klarheit gefunden, wie sie ihm normalerweise nur am frühen Morgen zu eigen waren, ebenso, wie er plötzlich wieder von jener sicheren Gewissheit geleitet wurde, mit der er sonst lediglich auf dem Höhepunkt einer Schlacht agierte.
Sabinius’ Standarte neigte sich zweimal nach vorn und zweimal nach hinten. Ein Trompeter der Infanterie nahm das Signal auf und ließ es in Richtung der Spitze des Zuges durch die Reihen erschallen. Ein Zweiter gab die Ansage in einer leicht versetzten Tonlage wieder zurück. Und jeder der siebentausend Männer, der Gouverneur mit eingeschlossen, wusste in diesem Augenblick, von wem der Befehl kam und wer dafür bestraft werden würde, sollte
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