Die Kriegerin der Kelten
ziemlich junger Mann gewesen war. Und vielleicht hatte Corvus um die Taille herum ein wenig zugelegt. Abgesehen von diesen Äußerlichkeiten aber war Corvus noch immer derselbe Legionar, der vor dreiundzwanzig Jahren vor der Küste der Eceni Schiffbruch erlitten hatte, derselbe Mann, der einen Jungen aus der Sklaverei errettet und ihn schließlich zur Kavallerie gebracht hatte.
Sie standen an entgegengesetzten Ufern, und wenngleich der Bach nur sehr schmal war, so fand doch keiner von beiden die rechten Worte, um diese Trennlinie zu überbrücken.
Nach einer Weile räusperte Corvus sich und fragte: »Reitest du immer noch diesen wahnsinnigen Hengst?«
»Ja. Und Cygfa reitet seinen Enkel. Der hat zwar den gleichen Kampfgeist wie sein Großvater, ist aber gleichzeitig nicht ganz so unberechenbar.«
»Gütige Götter... Wenn ich mir vorstelle, dass dann morgen tatsächlich gleich zwei solcher Tiere über das Schlachtfeld toben... am besten, wir brechen gleich wieder auf.«
»Und, werdet ihr das tatsächlich tun?«
»Nein.«
Kaum, dass sie mit dieser aufgesetzten Leichtigkeit einen Gesprächseinstieg gefunden hatten, zerstob diese aber auch schon wieder. Valerius beugte sich vor und platzierte die bronzene Statue des Horus auf einem Stein etwa in der Bachmitte. Eindringlich starrte dessen gagatschwarzes Auge ihn an. »Die hier gehört dir. Du solltest sie also wiederhaben.«
»Danke.« Dennoch unternahm Corvus keinerlei Versuch, die Statuette an sich zu nehmen. »Die hat einen ganz schön langen Weg zurückgelegt, bis sie schließlich hier ankam.«
»Begann ihre Reise etwa in Alexandrien?«
»Ja.«
»Du hast mir nie seinen Namen verraten.« Valerius wusste selbst nicht, warum er dies nun sagte. Es hatte Jahre gegeben, in denen er eine solche Frage ganz unbekümmert hätte stellen können, und die Antwort wäre ihm freimütig gegeben worden.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich überhaupt jemals seinen wahren Namen gekannt habe«, entgegnete Corvus. »Er selbst jedenfalls nannte sich Alexandro.« Corvus sprach den Namen auf jene weiche Art und Weise aus, wie es im Süden üblich war, und ließ dabei die Konsonanten über die Zungenwurzel gleiten. Dann lächelte er ein wenig verkniffen, und silbern spiegelten seine Züge sich im Wasser wider. »Er nannte mich seinen Hephaistos, seinen Feuergott.«
»So sehr hast du ihn also geliebt?«
»Ja, zumindest dachte ich das. Die Liebe war damals … noch ganz anders. Einfacher.« Corvus streckte den Arm aus, drehte den Horus mit dem Gesicht zu sich herum und fuhr dabei sacht mit der Fingerspitze über die kleine Einbuchtung auf dessen Schädelmitte. »Ich war damals erst neunzehn. Und ich dachte, ich wüsste bereits alles, was es über die Liebe und über das Leben und alles, was dazwischen liegt, zu wissen gibt.«
»Und jetzt?«, hakte Valerius mit sanfter Stimme nach.
»Nun weiß ich im Grunde nichts mehr, außer, dass ich weiß, dass ich nichts weiß. Nein... das stimmt auch nicht.« Corvus tat einen hastigen Atemzug. »In deiner Gesellschaft weiß ich einfach nicht mehr, was ich sagen soll. Und, um Himmels willen, müssen wir denn tatsächlich so jämmerlich dasitzen, mit einem Bach, der zwischen uns entlangplätschert, wenn morgen doch ohnehin alles vorbei sein wird?«
Es war schwer, diese Worte auszusprechen, und doch musste es sein. »Nun, auf meiner Uferseite ist zweifellos ausreichend Platz für uns beide«, erklärte Valerius, »und auf deiner auch. Also kann jetzt entweder ich zu dir hinüberspringen, oder du kommst auf meine Seite. Der Stein dort in der Mitte scheint mir nämlich nicht groß genug zu sein, um zusätzlich zu dem Horus auch noch dich und mich aufzunehmen.«
»Nein.« Corvus stieß ein kurzes Lachen aus. »Der Platz reicht eindeutig nicht aus. Und, soll ich nun zu dir hinüberkommen oder du zu mir? Das scheint in jedem Fall eine gewisse Bedeutung zu haben. Was sagen denn deine Götter zu dieser Frage?«
»Sie sagen, dass es niemals so weit hätte kommen dürfen.« Valerius stockte die Stimme. »Also gut, warte, ich komm rüber.«
Er bekam nasse Füße, stieß sich einen Zeh und landete schließlich wie ein an Land geworfener Fisch am entgegengesetzten Bachufer. Zitternd und lachend lag er da. Und außerdem weinte er, was ein wesentlich befreienderes Gefühl war, als er zunächst gedacht hätte.
Mit dem Handrücken wischte er sich die Tränen aus den Augen und setzte sich auf. »Von mir wird erwartet, dass ich morgen den rechten Flügel
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