Die Kriegerin der Kelten
Verräter vom Stamme der Atrebater hielt sie mit der Kraft der Verzweiflung fest, denn ihm drohte die Todesstrafe, falls sie sich zu früh losrissen.
Die Häsin fuhr herum und blickte Graine an, die noch immer nicht wusste, was sie tun sollte. Früher einmal hatte sie einen Hund auf einen Hasen gehetzt. Niemals in ihrem Leben hätte sie sich vorstellen können, dass sie einmal einen Hasen auf zwei Hunde hetzen würde. Jetzt aber tat sie genau das und schleuderte ihre eigene Hoffnung und die Sehnsucht nach dem Sieg über den hauchdünnen Faden des Hasenliedes mitten in dessen Bewusstsein.
Selbst wenn sie nun einen Speer geworfen hätte, so hätte dieser nicht derart unbeirrbar und pfeilschnell und schnurgerade auf den Feind zusausen können. Hastig erteilte der Gouverneur beim Anblick des rennenden Hasen seinen Befehl. Der Hundeführer löste die Leinen, und schnell wie Schleudersteine schossen die beiden Hunde auf den über die Ebene flitzenden Hasen zu.
Angespanntes Schweigen breitete sich aus. Nun, da die Hunde von der Leine gelassen waren, wagte es kein Einziger unter den Legionen mehr, noch mit seinem Schwert auf seinen Schild zu trommeln, aus Furcht, die Tiere dadurch abzulenken.
Der Atrebater hatte die beiden Hunde bewusst genau gleichzeitig ausgeschickt, sodass sie gemeinsam davonrasten, zwei schlanke, bläulich schimmernde Geschöpfe, Seite an Seite, ihr Gebell jetzt verstummt in ihrer zielstrebigen Entschlossenheit. Sie hielten eine Mannbreite Abstand voneinander und rasten schnurstracks auf die Häsin zu, bereit, sofort umzukehren, falls diese kehrtmachte, und sie zwischen sich immer wieder vom einen zum anderen zu hetzen, so lange, bis die Kräfte der Häsin diese schließlich verließen und sie verloren war. Nur die Römer setzten bei der Jagd jeweils zwei Hunde auf einen Hasen an. Die Stämme dagegen hielten es für verwerflich, mehr als einen Hund seine Kräfte mit Nemains Geschöpf messen zu lassen.
Noch bevor sie ihr Opfer erreicht hatten, trat die Katastrophe ein. Graine fühlte die Woge von Panik, als die Häsin die beiden Jagdhunde erblickte und unwillkürlich langsamer wurde und plötzlich nicht mehr wusste, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Graine versuchte, das Tier zu erreichen, und konnte es doch nicht. Der singende Faden, der sie und die Häsin miteinander verband, wurde überschwemmt von der nackten, panischen, blinden Angst des Tieres. Und schlimmer noch: Diese Angst drohte, nun auch auf sie, Graine, überzugreifen, eine mit messerscharfen Reißzähnen bewehrte, keuchend auf sie zustürmende Vernichtung, die so schnell kam, so unausweichlich und so …
»Lass dich bloß nicht von ihr in Mitleidenschaft ziehen.« Links von Graine stand Breaca, rechts Stone. Gemeinsam und mit vereinten Kräften hielten die beiden Graine aufrecht. »Graine. Gibt es sonst noch irgendjemanden, der helfen kann?«
In dem Moment fühlte sie es plötzlich, irgendwo jenseits des ohrenbetäubenden Gebells der Hunde und der nervenzermürbenden Angst: Valerius war dort und mit ihm noch eine ganze Reihe anderer. Letztere konnte Graine allerdings nur noch verschwommen erkennen. Als ob sie über eine zerstörte Brücke hinwegzulangen versuchte, reckte Graine sich nun nach Valerius und nach Nemain, die hinter diesem stand. Und Valerius, der das verzweifelte Streben seiner Nichte wahrnahm, streckte sich wiederum ihr entgegen.
Beide reckten und streckten sich mit aller Kraft und schafften es doch nicht, miteinander in Berührung zu kommen, einander zu erreichen.
Die Häsin schwankte, geriet ins Straucheln. Die Hunde sahen dies und rannten nur noch schneller.
Oben auf der Kuppe des Hügelgrates griff Cygfa mit einem Mal nach Valerius’ Hand.
Im tiefsten Inneren seines Herzens, dort, wo nach wie vor nur Corvus lebte, vernahm Valerius, der früher einmal Bán gewesen war, plötzlich eine fragende Stimme... das, was du für Mithras bist. Und jetzt, so glaube ich, auch für Nemain?
Der Stiermörder stand auf der Schwelle seines Bewusstseins, sicher auf Abstand gehalten von Valerius’ Verlangen, allein Nemain treu zu sein. Dem Stiermörder dicht auf den Fersen lief ein Hund, und eine Schlange trank das Blut des sterbenden Stieres.
Valerius sah den Mond am Himmel aufsteigen, einen Stier auf seinen Hörnern tragend, er sah einen Bullen am Tor stehen, seine Augen vom Licht des Mondes erfüllt, und plötzlich - spät, aber noch nicht zu spät - begriff er. Von einer Woge der Erleichterung durchströmt, öffnete
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