Die Kriegerin der Kelten
Immerhin wollte er nicht im Liegen sterben. Die Götter verlangsamten das Tempo seines Daseins, auf dass sein Leben ihm noch ein klein wenig länger erschien. Die Zeit schien ihre Macht zu verlieren, schien sich zur Unendlichkeit auszudehnen, während Valerius den Ansatz zu jenem letzten Schlag beobachtete, der ihn endgültig in das Leben hinter dem Tode entlassen sollte. Aufmerksam folgte er mit dem Blick dem Schwung des Schwertes, sah, wie es zurückgerissen wurde, einen Bogen vollführte und dann niederfuhr, geradewegs auf seinen Kopf zu …
... nur dass Valerius plötzlich nicht mehr dort war, wo er gerade eben noch gestanden hatte. Einst, während eines langen Winters an den Ufern des Rheins, hatten Corvus und er, Valerius, ihren ganzen Ehrgeiz darangesetzt, eine adäquate Reaktion auf einen derartigen Angriff zu finden. Doch die einzige Gegenwehr, die sie entwickeln konnten, funktionierte auch bloß ein einziges Mal von eintausend.
Allerdings war dies nun nicht mehr ein Kampf, der allein zwischen Valerius und Corvus stattfand, sondern auch die Götter waren zugegen, hatten das Tempo von Valerius’ Welt bereits gedrosselt, auf dass er noch etwas länger lebte - und mit Windeseile hatte Valerius genau diesen Augenblick genutzt und war mit einem geschmeidigen Satz nach Art der Krieger, die sich praktisch aus dem Stand auf ein vorbeigaloppierendes Pferd zu schwingen vermochten, geradewegs auf den Rücken von Corvus’ Stute gesprungen. Geschickt war er somit unter der auf ihn herabsausenden Klinge hindurchgetaucht und kämpfte nun darum, Halt zu finden auf dem Rücken des armen Pferdes, das unter der zusätzlichen Last merkbar zusammengesunken war. Verzweifelt kämpfte Valerius darum, den von Kopf bis Fuß mit einer Rüstung bewehrten Mann vor ihm zu packen, einen Mann, der bereits halb gewusst hatte, dass Valerius mit diesem Sprung auf ihn ansetzen würde, und der seinen Widersacher nun dennoch nicht mehr abzuschütteln vermochte.
Das Pferd vollführte zwei zittrige Schritte nach vorn, Valerius schien fast schon wieder von seinem Rücken hinabzurutschen. Dann aber, als Instinkt und der unbedingte Zwang zu gewinnen langsam über Angst und Erschöpfung siegten, fand er endlich doch noch einen Halt und ritt hinter Corvus auf dessen rotbrauner Stute, ganz so, wie sie auch schon einmal an den Ufern des Rheins hintereinander auf einem Pferd geritten waren. Nur dass Valerius diesmal ein Schwert in der Hand hielt und zudem allen Grund hatte, diese Waffe auch einzusetzen.
Andererseits... vielleicht war selbst dieser Grund noch nicht Grund genug. Ein wohlvertrauter Duft hüllte Valerius ein. Ein Duft, den er schon sein ganzes Erwachsenenleben lang gekannt hatte, der nur ganz schwach war, wenn der Mann, zu dem dieser Duft gehörte, gerade aus den Bädern kam, und wiederum sehr scharf in Valerius’ Nase drang, wenn dieser gewisse Mann von einer Schlacht heimkehrte, oder aber, wenn sie beide die Nacht miteinander verbracht hatten. Valerius konnte den letzten, den endgültigen Hieb nicht ausführen.
Damals - in jenem zum Sterben langweiligen Winter, als der Schnee den Pferden bis zu den Sprunggelenken reichte und der Fluss von so dickem Eis überzogen war, dass man sogar darauf reiten und Kavalleriemanöver einüben konnte - hatten sie beide noch einen weiteren Trick probiert, den man in einer Situation wie dieser anwenden könnte. Mit dem einen Arm langte Valerius nun unter Corvus’ Achselhöhle hindurch nach dessen Kehle. Anschließend riss er dessen Kopf nach hinten und rammte mit aller ihm noch verbliebenen Kraft und Trauer sein Knie gegen Corvus’ Stirn.
»Es tut mir leid«, sagte nun auch Valerius, als der andere Mann leblos zu Boden sackte. »Und ich werde noch immer auf dich warten in dem Land hinter dem Leben, egal, wie viel Zeit bis dahin vergehen mag. Und ich weiß, dass auch du auf mich wartest.«
Die Stute war eines der Pferde aus dem Stamme der Eceni. Sie kannte die Worte, die Valerius nun an sie richtete, also genau und reagierte sofort auf den leichten Druck mit seinem anderen Knie. Blitzschnell wirbelte sie auf seinen Befehl hin herum, sodass er gerade noch sehen konnte, wie ein Mann in einem übel riechenden Wolfsfellumhang sich aus seinem Sattel fallen ließ und neben dem Toten zu Boden sank, der nun mit gebrochenem Genick im Schlamm lag.
Vielleicht atmete Corvus aber auch noch... noch war Zeit und Raum, um zu glauben, dass er noch lebte.
Schon aber wandte die Stute sich abermals um, bäumte sich
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