Die Kriegerin der Kelten
Haltung.
Durchgerüttelt von einem Wind, der keinerlei Respekt besaß vor Rang oder Ehre, ritt er in aufrechter Haltung den Hügel empor und geradewegs auf den Legaten und dessen neuesten Besucher zu. Es war unmöglich, ihn nicht wiederzuerkennen, egal, wie sehr die Sonne ihm auch das Haar gebleicht und der Wind ihm die Haut mit feinen Rissen durchfurcht haben mochte.
Valerius war zwar keineswegs so erschöpft, wie er vorgegeben hatte, aber er war wiederum auch nicht mehr in jener ausgeruhten Kampfbereitschaft, in der er nun gerne gewesen wäre. Ruhig stand er neben seinem Pferd und beobachtete, wie der Bataver langsam auf ihn zugeritten kam, jener Mann, der Valerius einst als seinen Bruder und Sohn seiner Seele betitelt hatte.
Nur ein winziger Augenblick war nötig, um die verschiedenen Quellen der nun drohenden Gefahr auszumachen und sie im Geiste in die, zumindest nach Valerius’ Einschätzung, richtige Reihenfolge zu ordnen.
Seine erste Sorge galt Longinus. Der Thraker war inzwischen fast am Fuße des kleinen Hügels angelangt und hatte dem Eisenhändler bereits zugerufen, stehen zu bleiben. Longinus befand sich somit außerhalb der unmittelbaren Reichweite der Männer auf dem Festungshügel, und sein Pferd besaß noch immer genügend Elan, um seinen Reiter im Zweifelsfall in den Wald und in die Sicherheit der Bäume zu tragen.
Und was diejenigen betraf, die Valerius - und damit indirekt auch dem Vorhaben seiner Schwester - gefährlich werden könnten, so waren wohl zunächst die Legionssoldaten zu nennen, die die Leibwache des Legaten bildeten. Doch sie waren allesamt noch jung und augenscheinlich gelangweilt. Das Einzige, worum sie sich zu sorgen schienen, war offenbar das stürmische Wetter und die gänzlich unerwartete Aussicht auf einen langen Marsch den Steinernen Pfad der Ahnen hinab, an dessen Ende dann auch noch ein Gefecht auf sie wartete. Einen Angriff von diesem Kurier, der da gerade die Anhöhe heraufgeritten kam, schienen sie jedenfalls nicht in Betracht zu ziehen. Zum Schutz vor dem Wind hatten sie die Schultern hochgezogen, und aus ihren Nasen tropfte ungehindert der Schleim.
Von dem Steinmetz wiederum dürfte wohl überhaupt keine Gefahr für Valerius ausgehen, womit schließlich nur noch der Legat übrig blieb. Cerialis stand dicht genug vor Valerius, dass Letzterer den Unterfeldherrn ohne größere Schwierigkeiten hätte töten können, zumal dieser seiner eigenen Ermordung unbewusst auch noch Vorschub leistete: Sein Schwert steckte fest in der Scheide, damit der Legat bequem sein Pferd besteigen konnte - andererseits jedoch ließ die Waffe sich damit nicht ohne Weiteres ziehen. Und außerdem weilte Petillius Cerialis, ganz anders als seine Legionare, in Gedanken bereits überwiegend bei den Ehrungen, die man ihm später sicherlich für sein mutiges Handeln in der Schlacht überreichen würde. Doch auch die Planung, die dieser Würdigung seiner Dienste erst einmal vorausgehen müsste, beschäftigte ihn schon.
Der kleine, noch verbliebene Rest von Cerialis’ Aufmerksamkeit ruhte allein auf Civilis. Der Gesichtsausdruck des Legaten war milder geworden, als ob der ankommende Reiter ein entfernter Großvater sei, an den der Unterfeldherr sich noch immer voller Liebe erinnerte.
Valerius, dem in diesem Augenblick niemand mehr sonderlich viel Beachtung zu schenken schien, testete unterdessen die Nachgiebigkeit des Bodens unter seinen Füßen. Der feine Salzgeruch, der in der Luft hing, schien mit einem Mal eine Nuance schärfer als zuvor, und die über den Himmel jagenden Wolken wirkten noch voluminöser und intensiver getönt. Die Ironie der Situation war Valerius wohl bewusst: Die Welt sah stets dann am eindrucksvollsten aus, wenn der Tod am nächsten war. Sein Leben lang hatte der jüngere Bruder der Bodicea immer wieder den Wunsch verspürt, sterben zu dürfen. Und ganz ähnlich den Batavern hatte er sich stets mitten in das Herz ungezählter Schlachten gestürzt, hatte getötet und getötet und jedes Mal wieder aufs Neue beklagt, dass er lebend daraus entkommen war. Erst vor kurzem war ihm bewusst geworden, wie verzweifelt er doch im Grunde am Leben hing, und in der knappen Zeit, die seit seiner Rückkehr zu den Eceni vergangen war, hatte er auch begriffen, wie dringend man gerade ihn dort brauchte, sodass Valerius zu der Erkenntnis gelangt war, dass er geradezu die Pflicht besaß, am Leben zu bleiben. Und genau diese Pflicht band ihn noch wesentlich fester an das Leben, als seine
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