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Die Küsten der Vergangenheit

Die Küsten der Vergangenheit

Titel: Die Küsten der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack McDevitt
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offiziell hieß. Sie mußte herausfinden, was in seinem Innern wartete und wer die Erbauer waren, und sie verbrachte einen großen Teil ihrer Zeit damit, die schleppenden Fortschritte beim Ausgraben des Kanals zu beobachten.
    Seit dem Tag, an dem sie Tom Laskers Schiff zum ersten Mal gesehen hatte, führte April ein Tagebuch. Sie schalt sich zwar selbst für diesen Anfall von Arroganz, doch ihr war von Anfang an klar gewesen, daß sie Ereignissen von historischer Bedeutung beiwohnte und daß detaillierte Aufzeichnungen interessant werden würden. Während der ersten Tage hatte sie sich mit der Niederschrift von Versuchsanordnungen und Ergebnissen zufriedengegeben. Nach der Entdeckung von Johnson’s Ridge hatte sie angefangen zu spekulieren. Und während der winterlichen Zwangspause an der Grabungsstelle war ihr bewußt geworden, daß sie irgendwann ihre Memoiren schreiben würde. Konsequenterweise hatte sie damit begonnen, ihre emotionalen Reaktionen in dem Tagebuch festzuhalten.
    Der Hirschkopf faszinierte sie. Er schien so sehr menschlicher Herkunft zu sein, daß sie an ihren eigenen Resultaten zweifelte. Irgendwie erschien im Hinblick auf diese einzelne simple Zeichnung alles, was sie inzwischen glaubte, irrwitzig. Sie hatte einen großen Teil des Nachmittags mit dem Versuch verbracht, ihre Gefühle präzise zu formulieren und in ihrem Tagebuch niederzuschreiben. Es war wichtig, nicht wie eine Verrückte zu klingen.
    April legte das Tagebuch in die Schreibtischschublade zurück und lauschte dem Wind. Es war Zeit zu gehen. Sie schaltete den Computer ab und machte sich auf den Weg. Max besaß vielleicht zehn Minuten Vorsprung.
    Am Eingang zwängte John Little Ghost das Tor gegen den Widerstand des Sturms auf und schlug vor, daß April vielleicht doch lieber über Nacht bleiben sollte. »Es wird gefährlich sein auf der Straße«, rief er, um den Wind zu übertönen.
    »Ich passe auf«, erwiderte April.
    Sie war froh, endlich in ihrem Wagen zu sitzen. Als sie wieder zu Atem gekommen war, drehte sie den Zündschlüssel um, und die Maschine sprang an. Auf der Heckscheibe hatte sich Schnee angesammelt. April nahm eine Bürste aus dem Handschuhfach und fegte die Scheibe frei. Sie wartete bei laufendem Motor, bis die Heizung genügend Wärme lieferte, um die Scheiben freizuhalten und steuerte dann den Wagen zu der Lücke zwischen den Bäumen, wo die Zufahrtsstraße begann. Sie fuhr durch eine Landschaft in Bewegung. Ringsum brüllte der Sturm.
    Vielleicht hatte John Little Ghost doch recht gehabt.
    Sie hielt nach links auf die westliche Ausfahrt zu. Es war ein weiter Weg über den Sattel, mehrere hundert Meter freier Fläche, wo der Sturm mit voller Wucht auf den Wagen prallte. April hielt das Lenkrad gerade und öffnete die Fahrertür, um sich an den Spuren zu orientieren, die andere Fahrzeuge hinterlassen hatten. Der Wind erstarb, als sie den Schutz einer Hecke aus Ulmen und Holunder erreichte. Sie fuhr an einem verlassenen Toyota vorbei und die Straße hinunter.
    Im Windschatten entstehen rasch Schneewehen, und man darf nicht zu langsam werden, um nicht steckenzubleiben. Straßenmarkierungen und Gräben verschwinden unter einer weißen Decke. Was die Sache noch unangenehmer machte – das hier war die zweite, neue Zufahrtsstraße, erst vor kurzer Zeit von der Polizei freigegeben, und April kannte die Strecke noch nicht.
    Sie hatte Mühe, den Wagen in der Spur zu halten. Immer wieder kam sie an steilen Stücken ins Rutschen und kämpfte sich um scharfe Kurven. Irgendwann verlor sie die Kontrolle und schlitterte seitwärts in eine Schneewehe. Sie legte den Rückwärtsgang ein, doch der Wagen bockte nur und versank noch tiefer.
    Verdammt.
    April knöpfte ihren Mantel zu, öffnete vorsichtig die Tür und setzte einen Fuß hinaus. Er versank bis über den Rand ihres Stiefels im Schnee.
    Fünf Viertelstunden später tauchte sie verängstigt und halb erfroren vor der Kommandobaracke auf. »Gott sei Dank für den Zaun«, berichtete sie den verblüfften Sicherheitsleuten. »Ohne den Zaun hätte ich niemals hergefunden.«
     
    Andrea Hawk war Moderatorin einer Talk-Show beim Sender KPLI-FM in Devil’s Lake. Sie hatte eine Reihe von Jobs innerhalb des Reservates innegehabt und in der Regel von ihrem indianisch-weiblichen Charme profitiert, während sie Körbe, Mokassins und Kanupaddel an gutbetuchte Touristen verkaufte. Ein Jahr lang war sie bei der Reservatspolizei gewesen, bis sie ihr Talent als Sprecherin entdeckte. Ihre

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